Wr. Neustadt 1768
Dieses Erdbeben fiel in eine Periode des aufgeklärten Absolutismus, was sich äußerst fruchtbar auf die damalige Berichterstattung auswirkte.
Ausschnitt (Wiener Neustädter Burg = Militärakademie) aus dem Modell von Wiener Neustadt um 1720, das vom Modellbildhauer Oskar Chmelik sehr sorgfältig nach historischen Plänen und Dokumenten aus dem Stadtarchiv hergestellt wurde. Zu sehen im Stadtmuseum von Wiener Neustadt. Nach dem Erdbeben wurde auf den Wiederaufbau der drei besonders baufälligen Ecktürme verzichtet, sodass die Burg heute nur mehr einen Turm (Rákóczi-Turm) aufweist. © ZAMG Geophysik Hammerl
Erdbeben in Wiener Neustadt - Mittwoch, den 27. Februar 1768, gegen 01:45 Uhr UTC (Io = 7°)
Kaiserin Maria Theresia entsandte ihren Hofmathematiker Joseph Anton Nagel nach Niederösterreich, um die Erdbebenschäden zu untersuchen
Anlässlich des Erdbebens beauftragte die Kaiserin ihren Hofmathematiker Joseph Anton Nagel damit, die Erdbebenwirkungen in Niederösterreich zu erkunden. Diese systematische Schadenserhebung ist für die damalige Zeit einmalig in Österreich. Interessant ist zu bemerken, dass auch in Italien 1783, nach dem schweren Erdbeben in der süditalienischen Region Kalabrien, der Leibarzt des Königs von Neapel, ähnlich wie Nagel, eine umfangreiche Abhandlung auf Grund der Beobachtungen von Bergungshelfern verfasste. Auch 1794 wurde nach dem Beben von Leoben in der Steiermark eine Kommission zur Schadenserhebung in der Stadt bestellt.
Nagel bereiste also das Schadensgebiet um Wiener Neustadt, befragte Augenzeugen des Bebens und zeichnete die Schäden in den folgenden Orten auf: Baden, Bad Vöslau, Gainfarn, Enzersfeld, Wöllersdorf, Brunn am Steinfeld, Wiener Neustadt, Stixenstein, Puchberg, Reichenau, Neunkirchen und Neusiedl am See.
Nagels Berichte über die Auswirkungen in Wiener Neustadt
Über Wiener Neustadt berichtete er Folgendes: „Was indessen den Neustædtern bey diesem erschrecklichen Zufalle begegnet sey, und wie sehr bey ihnen so wohl œffentliche als gemeine Gebæude, insonderheit die kais. Burg, oder anjetzt die Kriegesschule gelitten haben, solches ist nunmehr bekannter, als daß es nœthig wære, die Beschreibung davon zu wiederholen. Dieserwegen fuehre ich hier nur an, daß am oft gedachten 27ten Hornung sechs verschiedene Erschuetterungen allda sind beobachtet worden … Durch die Erste, welche nach Meynung einiger bis eine Minute soll gedauert haben, sind die Gewœlbe und andere Gemæuer durch die ganze Stadt so sehr zerrissen worden, daß selbige theils eingestuerzt sind, theils um grœßeres Unglueck zu verhueten, abgetragen werden mueßen. Doch sind die Inwohner noch so gluecklich gewesen, daß keiner von ihnen dadurch am Leibe ist beschædiget worden. In der Mitte der Pfarrkirche hat man Schranken machen mueßen, um dadurch die sich allda einfindenden vor dem sich etwa ereignen mœgenden Einsturze des darueber hangenden hœchst baufælligen Gewœlbes zu bewahren. Und in der Militärschule ist die æußere gegen Mittag stehende Hauptmauer, welche unter allen am mehresten gelitten hat, bis 2 1/2 Zoll von ihrer alten Richtung abgewichen.
Linke Abb.: Specification deren kleineren bürgerl. Partheyen Verzeichnis erlittener Schäden durch Viehseuche und Erdbeben, 1767/68, vom 1. September 1768, in: St. Arch. Wiener Neustadt, Scrin.AI, Nr.14 © ZAMG Geophysik Hammerl; rechte Abb.: Nach dem Erdbeben von 1768 eingezogene Eisentraversen in der Neuklosterkirche in Wiener Neustadt © ZAMG Geophysik Hammerl
Nagels Darstellung von Bebenschäden in Baden
In Baden befragte Nagel den Landschaftsapotheker Herbst und notierte: „… so bald es Tag geworden (ist der Apotheker Herbst) zu den dortigen Bädern geeilet, um die etwa vorgegangene Änderung wahrzunehmen; wo er auch dann das Wasser etwas trüb gefunden, einen häufigern Zufluß der Quellen und deren mehrere Schwängerung mit schwefelichen Theilen, folglich eine merklich größere Wärme wahrgenommen hätte; welches alles denn nicht anders als eine Wirkung dieser Erderschütterung anzusehen, und dermals wieder in seinen vorigen Stand zurückgetreten wäre.”
Als der Hofmathematiker Nagel die Quelle mit dem Namen „Ursprung” selbst besichtigte, stellte er fest, dass das Wasser tatsächlich höher als gewöhnlich stand.
Schadenserhebung in Wiener Neustadt
Auch der Bürgerausschuss in Wiener Neustadt trat in der ersten Ratssitzung, die nach dem Erdbeben am 8. März 1768 abgehalten wurde, an den Bürgermeister mit der Bitte heran, er möge sofort je einen Ratsherren vom Inneren und vom Äußeren Rat ernennen, um einen „Augenschein“ in Wiener Neustadt vorzunehmen. Daraufhin ernannte der damalige Bürgermeister Haggenmüller in der Ratssitzung vom 11. März für jedes Stadtviertel zwei Ratsmitglieder sowie je einen Maurer- und Zimmermeister, die gemeinsam mit den zuständigen Viertelmeistern von Haus zu Haus gehen sollten, um den verursachten Schaden an den Gebäuden zu beschreiben und dessen Höhe festzulegen.
Die Schäden, die die von Bürgermeister Haggenmüller eingesetzte Kommission feststellen konnte, wurden in einer „Specification deren kleineren bürgerl. Partheyen” („Verzeichnis erlittener Schäden durch Viehseuche und Erdbeben”) zusammengefasst. In dieser Liste werden 192 Bürger genannt, die alle zusammen 17.058 Gulden (fl.) an Schaden erlitten hatten, wobei die Summe der Schäden von 6fl. bis 500 fl. reichte. Folgende Preisbeispiele helfen, eine Vorstellung über den damaligen Kaufwert des Geldes zu bekommen: ein Wirtshaus mit dazugehörigem Ackerbesitz von 30 Joch (1 Joch = ca. 57 Ar) in einem niederösterreichischen Marktflecken wurde mit 2.000 fl. bewertet oder Kleinhäusl waren bereits für 20-80 fl. zu kaufen.
StA Baden. Gedenckhbuch bei der Statt Baaden de Anno 1683. © ZAMG Geophysik Hammerl
Niederschrift vom Wiener Neustädter Chronisten über das Beben im Jahre 1768
Der Wiener Neustädter Chronist notierte über den 27. Februar und die nächsten Tage ins „Alte Stadtbuch”: „… da nun ebenfals den 21ten Marty um 9 Uhr fruhe mehrmalens etwelche starke Stose welche gänzlich den Umsturz deren Häuseren troheten sich ergaben, von welchen bey Hr. Johann Franz Puhler des J.R. ein Rauchfang, nebst der Selchstadt völlig ruinirt, bey den bürgerlichen Schildt Wärth Thadeo Pacher ein Rauchfang eingefallen ist; daß zwar ob Summum in Mora Periculum in einigen hiedurch mehrers beschädigten Häusern zu 60. in anderen auch weniger Pölz, oder Spreitzen um den gänzlichen Umsturtz derenselben hindann zu halten, haben appliciret werden müsse …”
Schilderung im Vorläufer der „Wiener Zeitung“ über das Beben vom 27. Februar 1768
In der Ausgabe des „Wienerischen Diariums”, einem Vorläufer der „Wiener Zeitung”, vom 19. März wird von einem Schreiben eines Geistlichen aus dem Karmeliterkloster zu Wiener Neustadt vom 4. März berichtet: „… Es war halb 3 Uhr schon lang vorbey, da die Erde zu brüllen anfing und gleich darauf folgten ihre entsetzlichen Stöße, dann es war kein schutzendes, kein wiegendes, sondern ein von unten aufstossendes Erdbeben. Der Schrecken, das Geprassel von denen einstürzenden Rauchfängen, von den spaltenden Gewölben und Mauren, von denen über einander fallenden Mauren verursachte, daß man die Stöße nicht genau zu unterscheiden fähig war, obschon einige 12. bis 15. derselben wollen gezehlet haben. Ich nehme es als ein Geschenk Gottes, daß ich diesem Greul der Verwüstung nicht mit eigenen Ohren gehöret, sondern erst durch das Klagegeschrey meiner Mitbürger erwachet bin. Doch auch bey mir war der Schrecken nicht gering, als ich die Ursach desselben vernahm, wir irreten auf unseren Gängen herum, und sobald wir Licht bekommen, sahen wir, wie nahe wir dem Tod gewesen; mein Bett war mit gemählter bestreut, und auf dem Hauptfüß eines anderen Geistlichen lagen hart an seinem Kopf schwere Stücke von dem herabgefallenen Maueranwurf, 4 Rauchfänge stürzten zum Theil ein, kein Gang, kein Zimmer ist, an welchen man nicht Hauptspaltungen wahrnimmt, und in meinem Zimmer hat es das Ansehen, als ob Donnerkeule kreuzweise herum gefahren wären … Eine Menge Volks eilte nach dem Platz zur Säule, um mit Gebeth und Wehgeschrey die Erbarmung Gottes anzuflehen, da sehe man auch viele in ihren Wägen, mit ihren Bedienten sitzen, die in ihren Wohnzimmern keine Sicherheit fanden …Durch die ganze Nacht hörte man das singend und betende Volk auf dem Platz, welcher auch angefüllet war von Wägen, die den Kranken und dem Frauenzimmer statt ihrer Betten dienten; wir, samt unsrem Provincial krochen in unser kleines Gartenhaus, aber auch hierinn waren wir nicht sicher, dann gegen 9 Uhr Abends geschah eine abermalige gewaltige Erschütterung, welche bey denen Klosterfrauen zwey Gewölber einstürzete, und die schon gemachten Klüften in vielen Gebäuden erweiterte …”
Dieser Augenzeugenbericht wirkt sehr dramatisch, trotzdem ist er informativ.
Linke Abb.: Deckblatt des „Wienerischen Diariums”, einem Vorläufer der „Wiener Zeitung”, in welchem am 19. März 1768 über das Beben berichtet wurde. © ZAMG Geophysik Hammerl; rechte Abb.: Der Dom in Wiener Neustadt wurde bei diesem Erdbeben schwer beschädigt. © ZAMG Geophysik Hammerl
Interpretation der Ergebnisse
Erneut muss aber darauf hingewiesen werden, dass – gerade bei der Interpretation historischer Texte – Fachleute (vor allem Historikerinnen und Historiker) die Inhalte der Berichte kritisch betrachten müssen, um Seismologinnen und Seismologen möglichst der Wahrheit nahekommende Informationen über das Erdbeben zukommen zu lassen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Minorisviertel (Wiener Neustadt war in Viertel geteilt, siehe auch unten) am stärksten unter dem Erdbeben gelitten hatte.
Hier muss aber festgehalten werden, dass es sich um das – wie schon erwähnt – am dichtest besiedeltste Viertel in Wiener Neustadt handelte und die Bausubstanz sicher in einem schlechteren Zustand war als z. B. im reicheren Deutschherrenviertel. Das Deutschherrenviertel war der lokalisierbaren Gesamtschadenssumme – an den profanen Gebäuden – nach am zweitstärksten vom Beben betroffen; hinzu kommt noch der Schaden am Karmeliterkloster. Interessant ist, dass dieses Viertel auch einwohnermäßig an zweiter Stelle rangierte.
Karte der Schadensverteilung für Wiener Neustadt für das Beben vom 27. Februar 1768 © ZAMG Geophysik Hammerl
Es folgt der Schadenssumme an den Profanbauten nach das Frauenviertel, zuzüglich des Schadens an der Pfarrkirche. Auch hier ist feststellbar, dass das Frauenviertel mit der drittgrößten Einwohnerschaft auch beim Gesamtschaden an dritter Stelle stand. Am geringsten fiel der Schaden an den profanen Gebäuden im Trinitatisviertel aus, das von den Vierteln den niedrigsten Bevölkerungsanteil hatte. Das Verhältnis stimmt aber dann nicht mehr, wenn man die beträchtlichen Schäden an der Burg dazurechnet. Dank der guten Dokumentation der Schäden in den Quellen konnte eine Karte der Schadensverteilung für Wiener Neustadt erstellt werden. Diese Karte diente in weiterer Folge dem Vergleich der Auswirkungen des historischen Bebens mit dem vom 5. Jänner 1972 im Stadtkern von Wiener Neustadt.
Die Bereiche höchster Schadenssummen von 1768 (Deutschherrenviertel und Minorisviertel) entsprachen auch der Zone erhöhter Intensität beim Seebensteiner Beben von 1972 (Gerald Duma, Studie zur Erdbebengefährdung des Raumes Wiener Neustadt, Projekt der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik Abteilung Geophysik, im Auftrage von Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Niederösterreichische Landesregierung, Baudirektion Bundeskanzleramt, Umfassende Landesverteidigung, Endbericht, Wien 1995).
Linke Abb.: Krone-Schlagzeile am Tag nach dem Beben in Seebenstein 1972 © Kronenzeitung; rechte Abb.: Aufräumarbeiten nach dem Beben 1972. Wimpassing im Schwarzatal an der B17 (NÖ). © Josef Wagner
- Publikationen
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