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10.06.2013

Wenig Winterschnee auf den Gletschern Grönlands: große Massenverluste im Sommer erwartet

Wenig Winterschnee auf den Gletschern Grönlands: große Massenverluste im Sommer erwartet

©ZAMG/Daniel Binder

Die Gletscher Grönlands gehen mit einer sehr geringen Schneedecke aus dem Winterhalbjahr. Das könnte sich auf die Schmelzraten im Sommer auswirken und nach den extremen Schmelzjahren 2011 und 2012 erneut zu enormen Eismassenverlusten führen. Forscher der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) vermessen regelmäßig den Massenhaushalt des Freya Gletschers in Nordost-Grönland und registrieren dabei ähnliche Massenverluste wie bei den österreichischen Gletschern.

In Grönland ist die ZAMG auch an einem internationalen Projekt zur Erforschung von Gletscherseeausbrüchen beteiligt. Derartige Ausbrüche werden als Folge der Erderwärmung häufiger. Die Ausbruchsmechanismen sind dabei noch immer nicht vollständig erforscht.

Vom letzten Entstehen und Ausbrechen des Gletschersees am A.P. Olsen Ice Cap in Grönland steht erstmals ein Zeitraffer-Video der automatischen Monitoring-Kamera zur Verfügung. Zunächst bildete sich über Monate ein See aus Schmelzwasser, der dann innerhalb eines Tages völlig „verschwand". ->Link zum Video auf Youtube

Während wir in Österreich einen hartnäckigen Winter und einen extrem nassen Frühling mit Hochwasser erlebten, war das Wetter vor allem im Nordosten Grönlands im polaren Winterhalbjahr ungewöhnlich trocken und daher schneearm. Das konnte der Klimaforscher Daniel Binder von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bei einer Expedition im Mai hautnah erleben: „Es liegt heuer in der gesamten Region so wenig Schnee, dass das Vorankommen mit den Schneemobilen fast unmöglich war. Bei den Massenbilanzmessungen am Freya Gletscher konnten wir für den Winter 2012/2013 eine mittlere Schneehöhe von 50 Zentimeter feststellen. Für den Winter 2011/2012 wurde um die gleiche Zeit eine mittlere Schneehöhe von 255 Zentimeter gemessen." Ähnliche Ergebnisse gibt es auch von Forscherteams in anderen Regionen Grönlands. Es ist zu befürchten, dass auch in einem durchschnittlich warmen Sommer die Gletscher Grönlands überdurchschnittlich stark schmelzen, erklärt Binder: „Nach dem Abschmelzen der schützenden Winterschneedecke kommt das dunkle Gletschereis wesentlich früher als sonst an die Oberfläche. Das dunkle Eis kann bis zu drei Mal mehr Sonnenstrahlung absorbieren wie Schnee. Somit verdreifacht sich auch die Abschmelzrate."

Ähnliche Massenverluste der Gletscher wie in Österreich

Durchschnittlich verliert der Freya Gletscher einen halben Meter Eisdicke pro Jahr. Seine mittlere Eisdicke liegt bei rund 100 Meter. Die Massenverluste sind auf einem ähnlich hohen Niveau, wie die von der ZAMG jährlich vermessenen Gletscher in Österreich (die Pasterze am Großglockner und die Gletscher im Bereich des Sonnblick-Observatoriums).

Die Ausdehnung des Meereises bei Grönland hat einen direkten Einfluss auf die großräumigen Wettersysteme im Bereich des Nordatlantiks und wirkt sich somit auch auf das Wetter in Europa aus. Die genauen Zusammenhänge und Auswirkungen sind noch nicht ausreichend erforscht. Erste Modellergebnisse zeigen aber einen physikalischen Zusammenhang zwischen dem schwindenden und dünneren polaren Meereis und langanhaltenden (persistenten) Wetterlagen über Grönland und Europa (Hitzewellen, Kältewellen, Regenperioden etc.)

Polarforschung in Grönland: Lange österreichische Tradition

Seit dem Internationalen Polarjahr 2007/08 ist die ZAMG an Projekten an der Forschungsstation Zackenberg ( www.zackenberg.dk) in Nordost-Grönland beteiligt, gemeinsam mit der Universität Innsbruck, der TU-Wien und internationalen Partnern aus der Schweiz, Dänemark und Großbritannien.

Das Gebiet rund um die Zackenbergstation erinnert mit vielen geographischen Namen, wie Pasterzengletscher und Großglockner, an die österreichische Polarforschung durch Julius Payer im Rahmen der Zweiten Deutschen Nordpolarexpedition 1869/70.

Die Arbeiten der der ZAMG in Grönland konzentrieren sich auf zwei Bereiche:

  • Quantifizierung des Schmelzbeitrags der küstennahen Gletscher in Nordost-Grönland im Gegensatz zum vielfach untersuchten Grönländischen Eisschild. Das erfolgt einerseits durch eine genaue und direkte Messung der Massenänderungen des rund sechs Quadratkilometer großen Freya Gletschers. Zusätzlich werden kontinuierlich Klimadaten mittels permanenter Wetterstationen am Gletscher gemessen. Über einen längeren Zeitraum direkt erhobene Gletscher- und Klimadaten sind äußerst selten für diese Region und bilden daher eine wertvolle Forschungsgrundlage um den Zusammenhang zwischen Klima und Gletscheränderungen zu erfassen. Das hilft, physikalische Modelle zu entwickeln, die eine Abschätzung von Zukunftsszenarien ermöglichen. Geplant ist ein langfristiges Monitoring, da der Zusammenhang zwischen dem Klima und dem Gletscherverhalten erst auf Basis eines soliden Datensatzes hinreichend genau abgeleitet werden kann. Die Messungen finden im Rahmen des weltweit koordinierten Gletscher-Monitoring-Programmes statt (www.wgms.ch).

  • Prozessorentierte Erforschung der jährlich stattfindenden Gletscherseeausbrüche im Bereich des A.P.Olsen Ice Caps. Neben der Tatsache eines vermehrten Auftretens von Gletscherseeausbrüchen in einem sich erwärmenden Klima, ist das physikalische Verständnis solcher katastrophalen Ausbrüche noch lückenhaft. Die Wasserausbreitung in und unter Eismassen und deren Folgen für die Dynamik der Eismasse spielt höchstwahrscheinlich in vielen Bereichen der Glaziologie eine große Rolle, kann aber aufgrund des lückenhaften Verständnisses noch in kein allgemein gültiges, physikalisches Model gepackt werden. Über ein innovatives geophysikalisches, geodätisches und hydrologisches Messnetz wird momentan ein Datensatz erarbeitet, der einen tiefen Einblick in die Funktionsweise der Gletscherseeausbrüche am A.P. Olsen Ice Cap erlaubt. Die ZAMG Klimaforscher arbeiten in diesem Projekt mit Partnern aus der Schweiz, Dänemark und Großbritannien zusammen.

Der Ausbruch eines Gletschersees im Zeitraffer-Video

Zur Untersuchung der Gletschersee-Ausbrüche am A.P. Olsen Ice Cap wird auch eine automatische Kamera verwendet. Vor kurzem wurden die Bilder des vergangenen Jahres ausgewertet. Daniel Binder, von der ZAMG: „Im Zeitraffer sieht man sehr gut den Ablauf des Gletschersee-Ausbruches im August 2012. Ab Anfang Juni sammelt sich Schmelzwasser von höher gelegenen Eisflächen in einem Tal, wo es vom vorbeifließenden Gletscher aufgestaut wird, so dass der Wasserspiegel kontinuierlich steigt. Am 6. August entleert sich plötzlich innerhalb eines halben Tages der gesamte See. Am Ende des Videos, nach dem Ausbruch des Sees, ist das dynamische Setzen des Eisdamms aufgrund des fehlenden Widerstands des zuvor noch aufgestauten Wassers schön zu beobachten."
->Link zum Video auf Youtube.

Millionen Kubikmeter Wasser „verschwinden" innerhalb eines Tages

Die Gletschersee-Ausbrüche am A.P. Olsen Ice Cap finden durchschnittlich ein Mal pro Jahr statt und dauern ein bis zwei Tage. Beim Ausbruch donnern rund fünf bis zehn Millionen Kubikmeter Wasser ins Tal. Es wird vermutet, dass kleine Risse und Sprünge im Gletschereis sich innerhalb weniger Stunden zu riesigen Abflusskanälen ausweiten.

Derartige Gletschersee-Ereignisse werden durch die Erderwärmung weltweit häufiger und können in stärker besiedelten Gebirgsregionen, wie in den Alpen oder im Himalaya, eine punktuelle Gefahr für Siedlungsräume Infrastruktur und darstellen.

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Bilder

(bei Nennung der Quelle für Medien kostenlos nutzbar)

Alle Fotos finden Sie in voller Auflösung im Download-Bereich der ZAMG:
www.zamg.at/cms/de/topmenu/ueber-uns/download/polarforschung

Der Materialtransport von der Forschungsstation Zackenberg zu den Gletschern gestaltete sich aufgrund der geringen Schneebedeckung in diesem Winter als sehr schwierig. Quelle: ZAMG/Daniel Binder.

Immer wieder mussten die Forscher nach einigermaßen zusammenhängenden Schneeflecken suchen, um zu den Gletschern zu gelangen. Quelle: ETH Zürich/Geo Boffi

Aufgrund der zeitintensiven Anreise zu den Gletschern richteten die Forscher Camps ein. Das Bild zeigt das Camp im Gletschervorfeld des A.P. Olsen Ice Caps. Quelle: ZAMG/Daniel Binder.

Der Freya Gletschers war im Frühjahr 2013 mit dem Schneemobil nicht erreichbar. Die Forscher mussten zu Fuß mit Steigeisen aufsteigen. Dort wo normalerweise ein bis zwei Meter Schnee einen mit dem Schneemobil gut zu befahrenden Untergrund bilden, kam im April 2013 nur das blanke Eis des gefrorenen Gletscherbaches zum Vorschein. Quelle: ETH Zürich/Geo Boffi

Die Messung der Winterschneehöhe am Freya Gletscher wurde mit Sonden durchgeführt, da der Transport des Boden-Radars auf den Gletscher nicht möglich war. Quelle: ETH Zürich/Geo Boffi.

Die automatische Wetterstation der ZAMG am Freya Gletscher im April 2013 (oben) und im August 2012 (unten). Quelle: ETH Zürich/Geo Boffi (links), ZAMG/Gernot Weyss (rechts).

Arbeiten an einer passiven Seismik/GPS Station am A.P. Olsen Ice Cap. Im Hintergrund ist die sehr geringe Schneemächtigkeit in diesem Bereich des Gletschers dokumentiert. Quelle: ETH Zürich/Geo Boffi.

Passive Seismik/ GPS Station am A.P. Olsen Ice Cap. Zu sehen sind (von oben beginnend) GPS Antenne, Windrad, Solar Panels und die Alukiste, in der sich Messgeräte befinden. Im Hintergrund kann man stellenweise schon das blanke Eis erkennen. Quelle: ZAMG/Daniel Binder

Völlig fehlende Schneebedeckung im Bereich des im Frühjahr 2013 leeren Gletschersees. Der am Bild zu sehende Eisdamm ist der Südost-Ausflussgletscher des A.P. Olsen Ice Caps. Quelle: ZAMG/Daniel Binder.

Vergleich der Schneebedeckung des leeren Gletschersees zwischen dem Frühjahr 2012 (oben 20.4. 2012) und dem Frühjahr 2013 (unten 20.4.2013). Die Aufnahmen stammen von der permanent installierten automatischen Kamera. Quelle: GeoBasis Research and Monitoring Programme.

Gletscherseeausbruch am A.P. Olsen Ice Cap im August 2012: Fotos der automatischen Kamera vom 5.8.2012 (oben) und 6.8.2012 (unten). Quelle: GeoBasis Research and Monitoring Programme.

Der See mit Eisdamm aus leicht unterschiedlichen Perspektiven vor und nach dem Ausbruch im August 2012 und im April 2013. Quelle: ZAMG/Gernot Weyss, Daniel Binder.

Größenvergleich: Der Gletscherforscher Gernot Weyss am Eisrand (Bildmitte, rote Jacke) kurz nach dem Ausbruch des Sees. Quelle: Kirstine Skov.

Der Eisrand kurz nach dem Ausbruch des Sees. Gut sichtbar der große Abflusskanal, durch den der See innhalb von wenigen Stunden ausgebrochen ist. Quelle: ZAMG/Gernot Weyss.

Vergleich des Wasserstandes am Gletschertor vor (oben) und während (unten) des Ausbruches des Gletschersees im August 2012. Die dunkle schuttbedeckte Eisoberfläche ist beim unteren Foto unterhalb der Wasseroberfläche. Quelle: ZAMG/Gernot Weyss.

VIDEO: Entstehen und Ausbrechen eine Gletschersees

Link zum Video: http://youtu.be/orMTJ1ov9NY

Zeitraffer zeigt das Entstehen und Ausbrechen des Gletschersees am A.P. Olsen Ice Cap in Nordost-Grönland. Die Fotos wurden mit einer permanent installierten, automatischen Kamera aufgenommen. Der See bildet sich im Laufe von Monaten und verschwindet dann innerhalb eines Tages (Ausbruch). Quelle: ZAMG

Alle Fotos finden Sie in voller Auflösung im Download-Bereich der ZAMG:
www.zamg.at/cms/de/topmenu/ueber-uns/download/polarforschung

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Web-Links

Austrian Polar Research Institute: www.polarresearch.at

Forschunsstation Zackenberg: www.zackenberg.dk

Weltweites Gletscher- Monitoring-Programm: www.wgms.ch

Blog von Prof. Jason Box: http://www.meltfactor.org/blog/

ZAMG allgemein: www.zamg.at und www.facebook.com/zamg.at

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