20.08.2021
Wetterlexikon | Tal- und Hangwindsysteme: machen Berge ihr eigenes Wetter?
Im ZAMG Wetterlexikon wird das Wetter in Ihrer Region von Meteorologinnen und Meteorologen der ZAMG erklärt.
Tal- und Hangwindsysteme: machen Berge ihr eigenes Wetter?
Autor: Mag. Paul Rainer, ZAMG Klagenfurt
Beim Wandern oder Radfahren ist vielleicht schon mal aufgefallen, dass sich die Windsysteme in den Tälern während des Tages umdrehen. Wenn man Pech hatte und in der Früh ein Tal hinauf radelte, leichten Gegenwind verspürte und sich über den am Nachmittag zu erwartenden Rückenwind freute, wurde man des Öfteren enttäuscht. Der Wind hatte sich um 180 Grad gedreht. Das bedeutete: Der Wind wehte einem erneut und diesmal sogar stärker entgegen. Wie konnte das passieren? Im Folgenden wird das Phänomen der Tal- und Hangwindsysteme physikalisch und anhand von Fallbeispielen erklärt.
Woher der Wind weht: Hangab- und Hangaufwind, Talaus- und Taleinwind
Tal- und Hangwinde sind tagesperiodische thermische, also durch Temperaturunterschiede entstehende, Winde. In der Nacht kühlt die Luft in Bodennähe stärker ab als in Schichten darüber. Sie wird damit schwerer als die Luft in den darüber liegenden Schichten. Der Schwerkraft folgend beginnt diese kältere, schwerere Luft zuerst an den Hängen abzufließen. Es entsteht ein Hangabwind (siehe Abbildung 1, links). Auch in den höheren Tälern entsteht auf Grund der Höhenlage kältere Luft als in den tiefen Lagen und im Alpenvorland. Durch die so entstehenden Druckverhältnisse beginnt die kalte Luft durch die Täler in die Niederungen abzufließen. Dieses Abfließen wird als Talauswind bezeichnet. Sowohl beim Hangabwind, als auch beim Talauswind handelt es sich um einen sogenannten katabatischen Wind (griechisch: katabatikos – herunterfließend). In der Regel sind die Hangabwinde und der Talauswind deutlich schwächer ausgeprägt als die Hangauf- und Talwinde und sie können bis in den Vormittag hinein anhalten.
Tagsüber ändert die Sonneneinstrahlung die Temperaturverhältnisse und die Druckgradienten, sie lässt damit diese katabatischen Hangab- und Talauswinde einschlafen. Mit dem Sonnenschein erwärmen sich die tieferen Luftschichten, die am nächsten am Boden sind, stärker als die darüber liegenden Luftmassen. Es entsteht ein kleinräumiges Wärmetief, der Hangaufwind kommt in Schwung (Abbildung 1, rechts). Gleichzeitig fällt der Luftdruck auch in einem etwas größeren Maßstab inneralpin durch die Erwärmung. Die Luft wird in die Täler hineingesaugt, ein Taleinwind ist entstanden. In der Wissenschaft wird manchmal auch vom „Alpinen Pumpen“ gesprochen, wenn an einem schönen ungestörten Tag durch die Erwärmung über den Bergen und dem entstandenen Unterdruck die Luft aus dem Alpenvorland zu den Bergen hingesaugt (gepumpt) wird.
Welcher Wind pfeift kräftiger?
In größeren Tälern Österreichs kann der Talwind recht kräftig ausfallen. Örtlich erreicht er Werte bis 30 km/h. In der Nacht sind die Geschwindigkeiten mit Werten zwischen 5 und 15 km/h deutlich geringer. Da in großen Tälern der tagsüber wehende Taleinwind stärker weht als der nächtliche Talauswind kann es vorkommen, dass dadurch Bäume schief wachsen wie es in der Abbildung 2 als Beispiel aus dem Drautal gut zu sehen ist.
Die höchsten Windgeschwindigkeiten bei Tal- und Hangwinden werden üblicherweise in geringer Höhe über den Tälern und Hängen gemessen. Ganz am Boden wird der Wind durch die Reibung gebremst und abgeschwächt. In größerer Höhe über dem Grund sind die Luftdruckgradienten geringer und dadurch ist hier der Wind wieder schwächer.
Die stärksten Hang- und Talwinde gibt es übrigens in den polaren Regionen und im Himalaja. In der Antarktis wurden schon katabatische Winde mit Windspitzen bis 300 km/h gemessen. Hier kann sich bei einer stabilen Luftschichtung in der Polarnacht am deutlich höher gelegenen Innlandeis sehr viel kalte Luft ansammeln, die dann Richtung Küste abfließt und teilweise über hunderte Kilometer auf diese Sturmstärke beschleunigt. Die extremsten Talwinde hingegen werden in den Himalajatälern induziert. Im extrem tief eingeschnitten Tal Kali Gandaki können Sturmspitzen bis 70 km/h auftreten und den lokalen Flugverkehr zeitweise einschränken.
Tal- und Hangwinde im Detail
In der Regel findet in einem größeren Tal ein Zusammenwirken von Tal- und Hangwinden statt. Der treibende „Motor“ dabei ist die Sonneneinstrahlung. Am besten ausgeprägt ist das Phänomen bei schwachem, großräumigem Wind und Schönwetter. In der Früh hat man in der Regel in den Tälern abfließende Kaltluft: der Wind weht also von höheren Tallagen in tiefere Gefilde. Die Hänge werden hingegen schon von der Sonne beschienen und erwärmen sich entsprechend. Die Luft über den Hängen erwärmt sich durch Wärmeleitung und Wärmestrahlung, die von den Böden ausgestrahlt wird und beginnt, bei Erreichen einer gewissen Temperatur, aufzusteigen. Dadurch entsteht an den Hängen im Vergleich zur Atmosphäre direkt über dem Tal ein tieferer Luftdruck.
Physikalisch gesehen strebt die Natur einen Druckausgleich an. Die Luft beginnt daher zum tieferen Luftdruck hin die Hänge entlang nach oben zu strömen. Weil diese Luft wohin muss, entsteht über dem Tal eine Ausgleichsströmung mit einer leichten absinkenden Luftbewegung. Diese Strömung wird in den talauswärts führenden Wind eingebunden.
Am Vormittag drehen sich dann auch im Tal die Druckverhältnisse um, da insgesamt das ganze Gebirge stärker erwärmt wird als das Alpenvorland. Es entsteht über den Bergen ein kleines Hitzetief. Es gibt einen Zeitpunkt, zu dem sich der Wind im Tal umdreht und kurzzeitig nur die Hangzirkulation vorherrschend ist.
Gegen Mittag verstärkt sich das lokale Hitzetief über den Bergen. Der Druck fällt schließlich so stark, dass durch den höheren Luftdruck in den tiefen Tallagen und im Alpenvorland der Taleinwind aufkommt. Gleichzeitig sind aber auch noch die Hangaufwinde vorhanden und die kompensierende Strömung abseits des Hanges wird in den Taleinwind über dem Tal eingebunden. Am Nachmittag, wenn der Druckgradient am stärksten ausgeprägt ist, treten die stärksten Windgeschwindigkeiten auf. Die Hangwinde spielen dann praktisch keine Rolle mehr.
Am Abend, wenn die Sonne weg ist, beginnen die Hänge stärker abzukühlen als die Luft darüber bzw. über dem Tal. Da die kalte Luft schwerer ist als die umgebende warme Luft, beginnt die Luft an den Hängen abzufließen und es entsteht ein Hangabwind. Die Luftdruckgegensätze zwischen dem Bergland und dem Alpenvorland reagieren jedoch träger. Deshalb herrscht zunächst immer noch ein Taleinwind. Im Laufe der Nacht gibt es kurzzeitig ein Druckgleichgewicht zwischen den Bergen und dem Alpenvorland. Der Talwind erlischt und es herrscht vorübergehend nur eine reine Hangzirkulation mit Hangabwind direkt an den Hängen. Als Ausgleich dazu entsteht eine leicht aufsteigende Luftbewegung über dem Tal.
Schreitet die Nacht weiter voran, bildet sich in den höheren Tallagen genügend kühle Luft. Gegenüber dem Alpenvorland entsteht ein höherer Luftdruck und es setzt der sogenannte Talauswind (von höheren Tallagen kommend) ein. Gegen Ende der Nacht ist der Talauswind am stärksten ausgeprägt, die Hangabwinde sind dann kaum mehr vorhanden.
Mit Sonnenaufgang bilden sich dann allmählich wieder die Hangaufwinde aus und der Zyklus ist damit geschlossen. Ist die Luft feucht genug, entstehen tagsüber durch die Hangaufwinde Quellwolken. Nachts lösen sich die Wolken in der Regel, bei störungsfreiem Wetter durch die absinkende Luft, wieder auf.
Spezialfall Gletscherwind
Ein Spezialfall in den Alpen ist der sogenannte Gletscherwind, der in Abbildung 3 schematisch dargestellt ist. Er kann als katabatischer Wind auch tagsüber auftreten. In den eisfreien Bereichen rund um einen Gletscher stellt sich an einem warmen Sommertag bei ungestörten Verhältnissen, also bei nur schwacher großräumiger Strömung, in der Regel ein gut ausgebildeter Hangaufwind und Talwind ein. Die Eisoberfläche des Gletschers erreicht aber nur eine maximale Temperatur von 0°C. Insgesamt bleibt damit der Gletscher deutlich kälter als die Umgebung. Auch die Luft über dem Gletscher ist entsprechend kalt und fließt in einer dünnen Schicht als sehr kühler, katabatischer Wind ab. Man bezeichnet diesen Wind auch als Gletscherwind, da er als typisches Windsystem auf Gletschern auftritt. Durch die Trägheit kann sich der Wind auch einige hundert Meter über das Gletscherende hinaus bemerkbar machen. In der wärmeren Schicht über diesem seichten Gletscherwind weht der tagesperiodisch auftretende Hangaufwind oder Taleinwind. In den noch größeren Höhen wird die Strömung vom herrschenden Wetter und der generellen, großräumigen Windströmung beeinflusst.
Hang- und Talwindsysteme in der Praxis: erkennt man sie in den Messungen?
Recht gut ausgeprägt war das Talwindsystem in vielen Ostalpentälern am 6. und 7. August 2020. Am 6. August herrschte über Mitteleuropa bereits Hochdruckeinfluss. Der Kern des Hochs lag über dem Baltikum und zwischen diesem Hoch und einem Höhentief über dem Balkan, wodurch der Ostalpenraum von einer östlichen Strömung geprägt war. Am 7. August sahen die Verhältnisse nahezu ident aus. Im Folgenden werden Beobachtungen für den gleichen Zeitraum von zwei Bergstationen (Patscherkofel, Stationshöhe 2251m und Villacher Alpe, Stationshöhe 2117m) und zwei Talstationen (Hermagor, Stationshöhe 562m und Arriach, Stationshöhe 890m) diskutiert. Die Lage der Stationen ist auf der Übersichtskarte in Abbildung 4 mit Pfeilen hervorgehoben.
Die Windverhältnisse am Berg
Die Windsituation auf den Bergen ist in Abbildung 5 dokumentiert. Auf der Villacher Alpe (schwarz) wehte am 6. August noch recht kräftiger Nordostwind mit einem mittleren Wind meist zwischen 30 und 40 km/h. Am 7. August schwächte sich der Wind am späten Nachmittag deutlich ab. Bei schönem Wetter entwickelten sich an der Südflanke der Villacher Alpe starke Aufwinde, die dann den großräumigen Wind abdrängen konnten. Diese Aufwinde werden auch sehr gerne von Segelfliegern genutzt, die im Gailtal ganz in der Nähe bei Nötsch stationiert sind.
Am Patscherkofel (grau) war der Wind durch den geringeren Luftdruckgegensatz insgesamt schon deutlich schwächer, meist lag der mittlere Wind hier zwischen 5 und 15 km/h. Am 6. August dominierte zunächst eine nord- bis nordwestliche Richtung (mit einem Pfeil hervorgehoben, links). Tagsüber kam durch die intensive Sonneneinstrahlung ein Südwind auf (Pfeil, Mitte), der als Hangaufwind zu sehen ist. Abends drehte der Wind dann auf Nordost (Pfeil, rechts) wobei in der Nacht der Wind vorübergehend fast vollständig einschlief. In unserem Beispiel blieb die Windfahne wohl eher zufällig auf einer südlichen Richtung stehen. Am 7. August kam es dann tagsüber zu einer Modifikation des Windes durch den Taleinwind mit einer kurzen Ostwindepisode. Gegen Abend und in der Nacht drehte der Wind schließlich wieder auf Nordost bis Ost.
Die Windverhältnisse in den Tälern
Wie sahen nun die Windverhältnisse in den Tälern aus? Als sehr langes Alpental ist das Gailtal prädestiniert für ein gut ausgeprägtes Talwindsystem. Daher schauen wir uns nun die Messungen der im Gailtal gelegenen Wetterstation Hermagor an. Diese Station befindet sich einige Kilometer östlich von der Stadt Hermagor, bei der Einmündung des Seebaches (Presseger Seeausfluss), auf 562m Seehöhe (Abbildung 6).
Im Bereich der Station Hermagor ist das Gailtal von Ostsüdost nach Südwest ausgerichtet. In der Nacht dominiert dadurch mit dem Ausfließen der Kaltluft der Nordwestwind. Dieser hält am Vormittag noch an, bis durch die Sonneneinstrahlung das Hitzetief über den Bergen entsteht und sich die Druckverhältnisse umkehren. Der Talauswind in der Nacht und auch noch am Vormittag ist insgesamt aber nur schwach ausgeprägt. Die Windspitzen liegen meist zwischen 5 und 10 km/h. Mit dem Richtungswechsel des Windes gab es kurz sogar eine Episode bei der der Wind nahezu einschlief. Wie in Abbildung 7 zu sehen ist, entwickelt sich tagsüber ein recht lebhafter Taleinwind aus östlicher bis leicht südöstlicher Richtung mit Spitzen knapp unter 25 km/h und einem mittleren Wind bis 10 km/h. Das Windmaximum trat am späten Nachmittag auf. In der Folge schwächte sich der Taleinwind rasch ab, aber erst nach Mitternacht hatte sich die Luft genug abgekühlt, um als schwerere Luft gegenüber der Umgebung wieder durch das Tal abfließen zu können. Am 7. August begann das Spiel wieder von vorne. Die maximale Stärke trat schon etwas früher auf. Da dürfte die großräumige Strömung einen modifizierten Einfluss gehabt haben.
Wie die Windverhältnisse sich an einem Hang entwickeln kann man recht schön anhand der Station Arriach studieren. In der Abbildung 8 ist die Topographie rund um die Station Arriach (Seehöhe 890m) dargestellt. Die Station liegt auf einem leichten Rücken der Richtung Wöllanernock (Gipfelhöhe 2145m) hinaufzieht. Nach Westen hin dominieren eher Südwesthänge und nach Osten zu sind es Südosthänge.
Wie in Abbildung 9 zu erkennen ist, dominierte am 6. August in den frühen Morgenstunden noch ein sehr schwacher östlicher Wind. Es ist kein reiner Hangabwind von den Hängen, die in nordöstliche Richtung hinaufziehen, sondern ein etwas modifizierter Wind aus dem Tal von Klösterle herab und von den viel größeren Hängen der Gerlitzen her. Doch knapp nach Sonnenaufgang entwickelte sich mit zunehmender Sonneneinstrahlung ein sehr schöner Hangwind aus west- bis südwestlicher Richtung. Der höchste Wert der Windgeschwindigkeit des mittleren Windes wurde gegen 17 Uhr mit rund 5 km/h erreicht. Gleichzeitig herrschte in höheren Lagen eine lebhafte Ost- bis Nordostströmung. Auf der Villacher Alpe wehte dabei ein Wind aus östlicher Richtung von rund 30 km/h. Am Abend kehrten sich die Windverhältnisse an der Station in Arriach wieder um. Die auskühlende Luft begann wieder aus östlicher Richtung abzufließen. Hangabwinde und Talabwinde haben eingesetzt.
Dieser Artikel erschien am 20.8.2021 und wurde am 24.9.2021 überarbeitet: die Terminologie wurde für eine bessere Lesbarkeit vereinheitlicht.