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29.12.2020

Starkes Erdbeben südlich von Zagreb

Die kroatische Region bei den Städten Petrinja und Sisak (Gespanschaft Sisak-Moslavina) wurde am Dienstag, den 29. Dezember 2020 um 12:19 Uhr MEZ von einem starken Erdbeben der Magnitude 6,4 (EMSC) bzw. 6,2 (PMF) erschüttert. Das Epizentrum lag 5 km westlich der Stadt Sisak (45.46°N, 16.31°O), etwa 130 km von der österreichischen Staatsgrenze entfernt. Die Tiefe des Bebens betrug rund 10 km. Aus den Medien und sozialen Netzwerken gibt es Berichte über eingestürzte Häuser in den nahe gelegenen Städten Petrinja und Sisak sowie über leichte Schäden in Zagreb und Ljubljana. Der Seismologische Dienst der geophysikalischen Abteilung an der Universität Zagreb (PMF) gibt für das Epizentrum eine vorläufige Intensität vom Grad VIII-IX (EMS) an. In Zagreb kam es am 22. März diesen Jahres bereits aufgrund eines Erdbebens in der Altstadt zu schweren Gebäudeschäden.

Bereits am Vortag, am 28. Dezember um 06:28 Uhr MEZ und um 07:49 Uhr MEZ ereigneten sich in der Region des heutigen Bebens zwei kräftige Erdbeben die in Österreich in deutlich verspürt wurden. Ihre Magnituden betrugen 5,0 und 4,4. Die Erschütterungen des stärkeren Bebens wurde in den südlichen Teilen der Bundesländer Kärnten, Steiermark und dem Burgenland sowie vereinzelt aus Wien und Linz verspürt.

 

Auswirkungen in Österreich

Aus Österreich sind beim Erdbebendienst der ZAMG bereits in den ersten 5 Minuten nach dem Erdbeben mehr als 200 Wahrnehmungsberichte aus allen Bundesländern mit Ausnahme Vorarlbergs eingetroffen. In den ersten 5 Stunden nach dem Beben stieg die Anzahl an Rückmeldungen auf knapp 11.000 (bisher insgesamt mehr 13.330 Meldungen). Vor allem im Südosten der Steiermark und in Kärnten wurden die Erschütterungen zum Teil kräftig verspürt. Die meisten Personen reagierten aufgeregt oder erschrocken. Wenige Personen (< 6%) gaben an das Haus verlassen zu haben oder beobachteten wie sich kleine Gegenstände verschoben. Vereinzelt wurden auch das Auftreten von Haarrissen im Verputz oder kleine Risse gemeldet. Aus Wien wurden zahlreiche Wahrnehmungen über ein lang andauerndes Schwanken des Gebäudes (besonders in hohen Stockwerken) oder über ein Pendeln von hängenden Objekte wie Christbaumschmuck oder Luster berichtet.

Bereits wenige Minuten nach dem Erdbeben: Orte mit Wahrnehmungsberichten aus Österreich zum Erdbeben vom 29. Dezember 2020 um 12:19 Uhr MEZ mit Epizentrum 41 km südlich von Zagreb (Kroatien).

Erdbeben Zagreb 29.dez nach 60 min Wahrnehmung

Darstellung der Anzahl an Meldungen in den ersten 60 Minuten nach dem Beben. In diesem Zeitraum sind etwa 7000 Meldungen eingetroffen.

Darstellung der Anzahl an Meldungen pro Bezirk (ungeprüft). Bis zum 30. Dezember um 12:00 Uhr MEZ sind aus Wien 2206 Meldungen beim Erdbebendienst eingelangt.

 

Registrierung am Strong-Motion Messnetz

In Klagenfurt betrug die gemessene Spitzenbodenbeschleunigungen (PGA) etwa 8 cm/s². Gemäß der derzeit gültigen Erdbebennorm (ÖNORM EN 1998-1) beträgt die horizontale Referenzbeschleunigung (Effektivwert) für einen Standort in 9020 Klagenfurt 59 cm/s². Dieser Richtwert wird gemäß der Erdbebennorm bzw. dem EUROCODE 8 mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% innerhalb von 50 Jahren nicht überschritten (bei einer Wiederkehrperiode von 475 Jahren). Die 50 Jahre entsprechen dabei der Nutzungsdauer eines gewöhnlichen Gebäudes.

Deutliche Registrierung des Erdbebens vom 29. Dezember 2020 um 12:19 Uhr MEZ an allen Strong-Motion Stationen des Österreichischen Erdbebendienstes der ZAMG. Die Aufzeichnungen der sensibleren Breitband-Stationen sind hier nicht abgebildet. Link zum Messnetz

 

Nachbebentätigkeit und Ursache

Bis zum 12. Dezember um 17:30 Uhr MEZ registrierte der Erdbebendienst der ZAMG in der Schadensregion acht Erdbeben mit einer Magnitude zwischen 4,0 und 5,0, achtundvierzig zwischen 3,0 und 4,0, dreihundertfünfzig zwischen 2,0 und 3,0, und fünfhundertvierundneunzig zwischen 1,0 und 2,0. Am 28. Dezember ereignete sich um 06:28 Uhr MEZ ein starkes Vorbeben mit einer Magnitude von 5,0. So eine starke Nachbebenaktivität findet bei den meisten Beben dieser Stärke statt. Die Häufigkeit und Stärke der Nachbeben nimmt mit der Zeit ab, wobei dieser Prozeß sich über einige Monate bis etwa ein halbes Jahr erstrecken kann. Die meisten Nachbeben werden nur mehr in Kroatien zu spüren sein.

swarm1 Erdbeben Zagreb 29.Dez

Darstellung der Anzahl an Erdbeben die dem starken Erdbeben bei Petrinja vom 29. Dezember vorangegangen oder nachgefolgt sind. Die Erdbeben sind in Magnitudenklassen unterteilt und für einen Gesamtzeitraum von 14 Tagen abgebildet. Ein vertikaler Balken entspricht einem Zeitraum von 6 Stunden.

Ursache ist der in dieser Region durch die Kollision der Adriatischen Platte mit der Europäischen Platte aufgebaute Druck in der Erdkruste. Die Adriatische Platte bewegt sich mit etwa 4 mm/Jahr auf die Dinariden zu. Die seismologischen Daten ergaben eine Seitenverschiebung als Ursache, wobei die Bewegung der verursachenden Störung entweder in der Richtung NW-SO oder SW-NO verläuft. Die beim SHARE (Seismic Hazard Harmonization in Europe) Projekt kartierten Störungen (Link) zeigen, daß die „Petrinja-Fault“ nahe dem Epizentrum liegt und in eine dieser beiden beobachteten Richtungen ausgerichtet ist. Eine Bestätigung dieser Störung als Ursache findet sich in der Analyse der Nachbeben bzw. in deren Lage.

Stärkste dokumentierte Erdbeben in Kroatien. Quelle: Seismologischer Dienst der geophysikalischen Abteilung an der Universität Zagreb.

Dokumentierte starke Erdbeben in Kroatien sind jenes bei Imotski im Jahr 1942 mit einer Magnitude von 6,2, bei Biokovo im Jahr 1962 mit einer Magnitude von 6,1 und bei Ston-Slano im Jahr 1996 mit einer Magnitude von 6,0. Das Erdbeben vom 29. Dezember 2020 mit einer Magnitude von 6,4 (EMSC) bzw. 6,2 (PMF) ist vielleicht das stärkste dokumentierte bzw. beobachtete Erdbeben wo auch eine Magnitude angegeben werden kann.

 

Das Kupa Erdbeben von 1909 und Mohorovičić

Am 8 Oktober 1909 ereignete sich das Kupa Erdbeben (auch „Pokuplje“ bzw. „Pokupsko“ bezeichnet) nur wenige Kilometer entfernt von dem jetzigen verheerenden Erdbeben bei Petrinja. Andrija Mohorovičić, ein wichtiger kroatischer Meteorologe und Geophysiker, fand bei der Auswertung des damaligen Erdbebens heraus, daß sich zwischen Erdkruste und oberer Erdmantel eine deutliche Trennfläche (Diskontinuität) befinden muß, bei der sich Dichte und seismische Wellengeschwindigkeit abrupt erhöhen. Daraufhin folgende Untersuchungen des Erdkörpers führten zu der Erkenntnis, daß die Erdkruste unter Kontinenten typischerweise 30-50 km dick und unter Ozeanen etwa 6 km dick ist. Aus historische Sicht war das Wissen über diese Trennfläche für die Geophysik und Seismologie eine bedeutende Entdeckung – und es wurde ihr der Namen ‚Mohorovičić Diskontinuität‘ oder kurz ‚MOHO‘ gegeben. Auch die Seismographen an der damaligen k.k. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien hatten das Erdbeben von 1909 in Kroatien deutlich aufgezeichnet.

Aufzeichnung des Kupa Erdbebens (Kroatien) von 1909 an der Vertikalkomponente des Wiechert’schen Seismographen an der Hohen Warten in Wien der damaligen k.k. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik.

Vicentini pendel 1909 Kupa Erdbeben

Aufzeichnung des Kupa Erdbebens (Kroatien) von 1909 an dem Vicentini-Pendel an der Hohen Warten in Wien der damaligen k.k. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik.

 

Der Erdbebendienst der ZAMG dankt der Bevölkerung für ihre Wahrnehmungsberichte, mit deren Hilfe die Intensität der Erdbeben bestimmt wird.


Stand: 12. Jänner 2021 um 17:30 Uhr

Der Erdbebendienst der ZAMG
Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik
1190 Wien, Hohe Warte 38
Telefon: +43 1 360 26 2508
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Holzschnitt aus der 'Weltchronik' von Hartmann Schedel, 1493. 'Und der Engel nahm das Rauchfaß und füllte es mit Feuer vom Altar und warf es auf die Erde, und Donner folgten, Getöse, Blitze und Beben.' Offenbarung 8,5 © ZAMG Geophysik Hammerl
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