10.03.2021
Vor 10 Jahren: Die Dreifach-Katastrophe von Tōhoku in Japan
Zweieinhalb Minuten dauerten die gewaltigen Erdstöße des Seebebens der Magnitude 9.1, das Japan am 11. März 2011 in eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes führte. Ursache war das ruckartige Abtauchen der Pazifischen Platte unter die südlichen Ausläufer der Nordamerikanischen Platte. Zahlreiche Gebäudeschäden waren die Folge, sogar im 375 Kilometer vom Bebenherd entfernten Tokio stürzten Gebäude ein.
Es gilt als das stärkste Beben seit Beginn der Aufzeichnungsgeschichte Japans, und als das drittstärkste (gemeinsam mit dem Sumatra-Andamanen-Erdbeben des Jahres 2004) weltweit je gemessene Erdbeben.
Etwa 20 Minuten später erreichte eine durch untermeerische Massenverlagerungen generierte 10 Meter hohe Tsunami-Flutwelle die Ostküste von Honshu (lokal maximale Wellenhöhen bis 40 Meter), der einen bis zu mehreren Kilometer breiten Küstenstreifen über Hunderte Kilometer Länge verwüstete. Ganze Dörfer und Landstriche wurden völlig ausradiert, Schiffe an Land gespült, brennende Häuser von den Wassermassen davongetragen. Auch in Indonesien und den USA wurden in manchen Buchten noch Wellenhöhen von fünf Metern gemessen. Es war das größte bekannte Tsunami-Ereignis in der japanischen Geschichte.
Das Megabeben und der Tsunami hatten eine weitere Tragödie zur Folge: zum ersten Mal in der Technologiegeschichte von Kernreaktoren kam es zu einem Unfall infolge einer Naturkatastrophe.
Das an der Küste gelegene Kernkraftwerk Fukushima Dai-ichi (163 km vom Epizentrum entfernt) erlitt einerseits nur leichte Erdbebenschäden, den Supergau löste aber der bis 15 Meter hohe Tsunami aus. Sechs Meter hohe Tsunami-Schutzmauern waren viel zu niedrig konzipiert. Infolge der fünf Meter tief überschwemmten Reaktorblöcke und der unter Wasser gesetzten Notstromgeneratoren fielen die Kühlsysteme aus. Innerhalb weniger Tage explodierten drei Reaktorblöcke, es kam zu mehreren Kernschmelzen und Bränden, radioaktive Stoffe wurden freigesetzt und verstrahlten ArbeiterInnen und die umliegende Bevölkerung. Japan ordnete das Unglück in der höchsten Gefahrenstufe 7 ein, es war damit so schwerwiegend wie der Supergau in Tschernobyl, auch wenn nur ein Bruchteil der Strahlungsmenge freigesetzt wurde. Als erstes Institut weltweit publizierte die ZAMG am 22. März 2011 eine umfassende und größenordnungsmäßig korrekte Abschätzung der Freisetzung radioaktiver Substanzen aus dem havarierten Kernkraftwerk und Berechnungen zur weltweiten Ausbreitung. Die freigesetzten radioaktiven Stoffe wurden in geringen Mengen auch in Österreich nachgewiesen.
Als Opferbilanz der Dreifachkatastrophe von Tōhoku (benannt nach der japanischen Region) gab die japanische Polizeiagentur folgende Zahlen bekannt: 15.899 Todesopfer, 2.527 Vermisste, 6.157 Verletzte, 470.000 Evakuierte, 320.000 Obdachlose, 121.992 zerstörte und 730.392 beschädigte Gebäude und über 200 Erdrutsche. Für die Haupttodesursache und den größten Teil der Schäden war der Tsunami verantwortlich.
Schäden an der Tohoku-Küste; Credit: Rob Kayen, Pacific Coastal and Marine Science Center. Public domain. USGS
Steckbrief Tōhoku-Erdbeben
Erdbeben (Angaben von United States Geological Survey USGS):
Datum, Uhrzeit: 11. März 2011 05:46 UTC (14:46 Ortszeit)
Magnitude: 9,1 (von USGS im Jahr 2016 von 9,0 hinaufgestuft)
Epizentrum: 38,30°N 142,37°O
Herdtiefe: 29 km
Tektonik: Subduktion Pazifische unter Nordamerik. Platte
Plattengeschwindigkeit: 8,3 cm pro Jahr
Bruchlänge: 500 km
Vertikaler Versatz: bis zu 50 m
Dauer Bruchvorgangs: 150 Sekunden
Tsumami:
Maximale Wellenhöhe: 40 m (Bucht von Miyako)
Maximal landeinwärts: 10 km (Sendai)
Überflutete Fläche: mindestens 500 km²
Plattengrenze verschoben
Die dünnere, schwerere ozeanische Pazifischen Platte taucht mit einer Geschwindigkeit von 8,3 cm pro Jahr unter die Kontinentale Platte ab, und dies unter einem außergewöhnlich steilen Winkel. Durch diesen Prozess wird die darüber liegende Platte, auf der der japanische Inselbogen liegt, aufgewölbt und gedehnt, und deren untere Schichten werden komprimiert. Die absinkende ozeanische Erdplatte wiederum wird langsam nach vorne und oben gedrückt. Infolge des Megabebens rutschte der obere Teil der gedehnten Platte ruckartig nach Osten. In einigen Gebieten auf Honshu kam es auch zu ausgedehnte Absenkungen, wodurch die Überflutungsgefahr der Küsten erhöht wurde.
Wie ein Expeditionsteam zum 7,5 km tiefen Japangraben feststellen konnte, kam es im Bereich der Bruchzone zu einem vertikalen Versatz der Krustenblöcke um bis zu 50 Meter. Dies führte dazu, dass an den Flanken des untermeerischen Grabens enorme Blöcke von Meeresboden in die Tiefe abrutschten. Durch diese abgesackten Sedimentpakete verschob sich die Plattengrenze um etwa drei Kilometer nach Osten, ein gigantisches Ausmaß! Durch die resultierende Wasserverdrängung infolge der Massenverlagerungen wurde der Tsunami generiert.
Verkürzte Tage, verschobene Erdachse
Durch die plötzliche Massenverlagerung verschob sich sogar die Erdachse, genauer gesagt die Figurenachse, um etwa 17 cm, wie von der NASA angegeben wurde. Auch drehte sich die Erde etwas schneller und die Länge des Tages verkürzte sich um etwa 2 Millionstel Sekunden. Aber die Erdrotation ist ständigen, teils viel stärkeren Schwankungen unterworfen, die u.a. auf atmosphärische Winde und Meeresströmungen zurückzuführen sind.
Klimaschädliche Gase in Atmosphäre
Das Tōhoku-Erdbeben und sein Tsunami haben auch Spuren in der Atmosphäre hinterlassen. Aus zerstörten Bauwerken, technischen Geräten wie Kühlschränken und Klimaanlagen, sowie Industrieanlagen wurden auch 6.600 Tonnen Halogenverbindungen freigesetzt, wie Forscher im Fachmagazin „Geophysical Research Letters“ berichten. Diese Substanzen können die Ozonschicht schädigen oder die Erderwärmung beschleunigen. In der Atmosphäre sei ein Verlust von Ozon verbunden gewesen, der knapp 40 Prozent über dem Wert des Vorjahres lag, berichten die Forscher.
Eisberge abgebrochen
Ein NASA-Team erkannte, dass der Tsunami sogar in der Antarktis Auswirkungen auf das Schelfeis hatte, wie Radarbilder des Umweltsatelliten Envisat gezeigt haben. Die Wellen waren zwar nur mehr etwa 30 cm hoch, als sie das Schelfeis der Antarktis nach 13.000 Kilometern erreichten, aber die enorm langen Wellenzüge übten einen derartigen Gesamtdruck aus, dass das Eis nicht mehr standhalten konnte und Eisberge abbrachen. Der größte dieser Eisberge hat eine Fläche von ca. 60 km2 und eine Mächtigkeit von etwa 80 m.
Nachbebentätigkeit hält bis heute an
Das Hauptbeben vom 11. März 2011 war von zigtausenden Nachbeben begleitet.
Infolge des Hauptbebens wird durch den Versatz an der Bruchfläche, die etwa so groß war wie Österreich, die meiste Spannung abgebaut. Deshalb gibt es innerhalb der Hauptbruchfläche nur wenige Nachbeben. Es resultiert daraus aber besonders an den Rändern des Bruchs ein erheblicher Spannungsanstieg. An angrenzenden kleineren Verwerfungen, sowohl in der kontinentalen nordamerikanischen Platte als auch in der abtauchenden ozeanischen Platte kommt es zur schrittweisen Entspannung dieser Bereiche, was einerseits über Kriechprozesse, andererseits über Nachbeben geschieht.
Starke Nachbeben mit Magnituden größer gleich 7 gab es nur acht, keines hatte eine Magnitude größer 8. Das stärkste Nachbeben mit einer Magnitude von 7,9 folgte dem Hauptbeben nach einer halben Stunde.
Besonders bemerkenswert ist das Erdbeben vom 13. Feber 2021, das fast genau nach 10 Jahren mit einer Magnitude von 7,1 auftrat und von der japanischen Erdbebenbehörde als Nachbeben eingestuft wurde. Es gehört zu den fünf stärksten Nachbeben seit 2011. Die Energie betrug aber dennoch nur etwa ein Tausendstel des Hauptbebens. Es forderte ein Todesopfer und 185 Verletzte, Tsunami wurde keiner generiert.
Das vom Erdbebendienst der ZAMG an allen Stationen registrierte Nachbeben der Magnitude 7,1 bewegte den Boden in Österreich, in 9.000 km Entfernung vom Epizentrum, um bis zu 0,4 mm. Im Vergleich dazu machte diese Bewegung im Falle des Hauptbebens bis zu einem Zentimeter in Österreich aus. Aufgrund der langen Perioden der seismischen Wellen in derartigen Entfernungen können diese Bewegungen von der Bevölkerung aber nicht verspürt werden.
Animierte Darstellung der Seismogramme des Tōhoku-Bebens 2011 an drei Stationen des Erdbebendienstes der ZAMG (CONA - Conradobservatorium in NÖ, DAVA – Damüls in Vorarlberg, SOKA – Soboth in der Steiermark).
Etwas mehr als zwölf Minuten braucht die schnellste seismische Welle, die Longitudinalwelle, um vom Hypozentrum in Japan zu den Erdbebenstationen in Österreich zu gelangen. Dieser Welleneinsatz ist im Seismogramm bei ungefähr 650 Sekunden zu erkennen. Etwa zehn Minuten später trifft die langsamere Scherwelle ein, bei ca 1300 Sekunden. Beide sind Raumwellen und breiten sich im Innern des Erdkörpers aus. Weitere 15 Minuten später kommen die Oberflächenwellen in Österreich an, sie breiten sich mit geringerer Geschwindigkeit als die Raumwellen nur an der Erdoberfläche aus. Deren Eintreffen ist im Seismogramm bei 2300 Sekunden zu sehen.
Quellen und weiterführende Links:
https://earthquake.usgs.gov/earthquakes/eventpage/official20110311054624120_30/executive
http://www.zamg.ac.at/docs/aktuell/20120417_Fukushima_Bericht.pdf
https://www.npa.go.jp/news/other/earthquake2011/pdf/higaijokyo_e.pdf
https://gfzpublic.gfz-potsdam.de/rest/items/item_1504380_4/component/file_1529041/content
https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/2014GL062814?campaign=wlytk-41855.5282060185
https://www.esa.int/Space_in_Member_States/Germany/Eisberge_in_der_Antarktis_aufgrund_des_Tsunamis_in_Japan_abgebrochen
https://www.scinexx.de/news/geowissen/tohoku-beben-verschob-plattengrenze-ueberraschend-stark/