06.05.2016
Vor 40 Jahren: Das verheerende Erdbeben von Friaul 1976
Das Erdbeben der Magnitude 6,5 war die folgenreichste Naturkatastrophe Italiens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Epizentrum (46,25°N, 13,22°O) lag südöstlich von Gemona, die Herdtiefe betrug 15 km.
Die schweren Erschütterungen dauerten zwar nur etwa eine Minute, die Folgen waren jedoch enorm (siehe Abb. 1). Etwa 20 Orte wurden zu einem großen Teil zerstört. Gemona, Venzone und Osoppo wurden dabei am schwersten getroffen. Auch viele historische Bauwerke wurden zerstört, so stürzten etwa vom berühmten Dom Santa Maria Assunta in Gemona ein Seitenschiff und der Campanile ein. Die Epizentralintensität betrug 9-10 Grad auf der 12-stufigen Makroseismischen Skala.
Abbildung 1: Schautafeln im Museum „Tiere Motus“ im Palazzo Orgnani Martina in Venzone, das eine sehr gute Informationsmöglichkeit über diese Erdbebenserie aus dem Jahr 1976 bietet. Bildquelle: ZAMG Lenhardt (Tiere Motus-Museum in Venzone)
Die tektonische Ursache des Erdbebens ist auf eine Verschiebung der Adriatischen Mikroplatte in Richtung Europäischer Kontinentalplatte mit einer Geschwindigkeit von bis zu 2 mm pro Jahr zurückzuführen. Das europäische Krustenmaterial mitsamt den überlagerten tektonischen Decken wird dabei auf die Adriatische Platte überschoben. Der diesem Beben zugrunde liegende Herdmechanismus bestätigt den Kompressionsvorgang.
Auswirkungen in Österreich
Das Erdbeben wurde in fast ganz Österreich verspürt (siehe Abb.2). In weiten Teilen Kärntens und in Osttirol waren die Folgen aufgrund der Nähe zum Epizentrum besonders stark. Es führte auch in den südlichen Landesteilen zu Gebäudeschäden, wobei die stärksten im Gailtal zu verzeichnen waren. So entstand etwa an der Pfarrkirche St. Daniel in Dellach ein 10 Meter langer Riss, das Turmkreuz fiel um und die Rippen im Gewölbe wurden stark beschädigt. Ein altes Wohnhaus im Drautal war durch die Bildung von tiefen Rissen im Mauerwerk einsturzgefährdet und musste geräumt werden. Aus vielen Orten wurde gemeldet, dass Schornsteine herabfielen. Die maximale Intensität in Österreich betrug 7 Grad auf der 12-stufigen Mercalli-Siebergskala (entspricht im Wesentlichen der heute gebräuchlichen Europäischen Makroseismischen Skala EMS-98).
Aufgrund dieses Erdbebens und den damit verbundenen Erfahrungen wurde die Baunorm zur erdbebensicheren Bauweise in Österreich überarbeitet. Weiters wurde die höchste Talsperre in Österreich – die Kölnbreinsperre bei Malta in Kärnten - mit einer Erdbebenstation der ZAMG versehen.
Abbildung 2: Die Karte zeigt die Bebenintensität in Österreich des Erdbebens in Friaul vom 6. Mai 1976 nach der Mercalli-Sieberg Skala (Drimmel et al., 1979). Die verschiedenen Schraffuren und Füllmuster in der Grafik weisen Gebiete vergleichbarer Auswirkungen aus.
Damalige seismische Registrierungen
Die Bodenbewegungen wurden in einer Epizentralentfernung von über 300 km in Wien auf einem Seismometer auf der Hohen Warte in Wien aufgezeichnet, das vom ersten Leiter des Österreichischen Erdbebendienstes, Victor Conrad (1876-1962), entwickelt wurde. Das auf einem Papierstreifen aufgezeichnete Seismogramm des sogenannten Conrad-Pendels ist in Abbildung 3 dargestellt. Die Handhabung der damaligen Seismographen war im Vergleich zu den heutigen Instrumenten und der Digitaltechnik sehr umständlich und zeitaufwendig.
Abbildung 3: Registrierung eines Vorbebens und des Hauptbebens, Friaul am 6. Mai 1976 mit dem Conrad-Pendel an der Hohen Warte in Wien. Die Laufzeit der schnellsten Erdbebenwellen vom Bebenherd nach Wien beträgt etwa 50 Sekunden.
Eine außergewöhnliche Nachbebentätigkeit
Die Nachbebentätigkeit hielt Monate an und versetzte die lokale Bevölkerung laufend in Angst und Schrecken. Damals war man der Auffassung, dass dies das größte Erdbeben im Friaul wäre und nun die Bebentätigkeit abnehmen würde, was sich auch andeutete. Man hatte sich täuschen lassen, denn am 15. September 1976 ereigneten sich um 05:00 und 11:30 Uhr zwei überaus starke Nachbeben (Magnituden 5,9 und 6,1), deren Folgen ähnlich waren wie beim Hauptbeben. Dabei wurden viele Gebäude vollends zerstört, die schon am 6. Mai beschädigt worden waren. Weitere 30.000 Menschen verloren ihr Obdach. Das Epizentrum dieser heftigen Nachbeben lag bei Tolmezzo, etwa 15 km vom Epizentrum des 6. Mai entfernt.
Schnellere Information
Abbildung 4 zeigt den Verlauf der Erdbebentätigkeit, wie er in Österreich von der ZAMG mit den damaligen technischen Mitteln erfasst wurde. 55 Erdbeben der Bebenserie wurden in Österreich aufgezeichnet und fanden Eingang in den Österreichischen Erdbebenkatalog.
Abbildung 4: Anzahl der Erdbeben pro Tag für verschiedene Magnitudenklassen, die in Wien registriert wurden.
Durch das verheerende Beben in der unmittelbaren Nachbarschaft Österreichs wurde erkannt, wie wichtig der massive Ausbau des seismischen Messnetzes war. Der Österreichische Erdbebendienst der ZAMG erweiterte erst jüngst sein Messnetz um zwei weitere Erdbebenstationen und umfasst gegenwärtig 17 Breitband- und 22 Strong-Motion Stationen.
Seit über 20 Jahren werden die seismischen Aufzeichnungen digital und automatisch mit den Nachbarländern austauscht. Damit ist eine Erfassung der Erdbeben aus dem Raum Friaul in weniger als 20 Sekunden möglich. Diese Information kann somit schneller in der Zentrale des Österreichischen Erdbebendienstes eintreffen als die schnellste seismische Welle, die vom Bebenherd nach Wien etwa 50 Sekunden benötigt.
Die Forschung geht weiter
Österreich ist ein Land moderater Erdbebengefährdung, das jedoch nur selten von starken Erdbeben getroffen wird. Das verleitet oft zu der Annahme, dass diese Naturgefahr zu vernachlässigen sei, weil stärkere Erdbeben glücklicherweise nicht jede Generationen betreffen. Wenn sich aber ein stärkeres Erdbeben ereignet, so kann der Schaden auch in Österreich beträchtlich sein.
Deshalb wurde an der ZAMG bereits mit den Arbeiten für die Erstellung einer neuen Erdbebengefährdungskarte für Österreich basierend auf den neuesten Erkenntnissen aus der historischen Erdbebenforschung und dem sich laufend erweiternden Erdbebenkatalog begonnen. Die Erdbebengefährdungskarte wird auf der Grundlage des Global Earthquake
Model (GEM) erstellt und erstmalig Bodenbeschleunigungen angeben, die mit den Nachbarländern und innerhalb der EU direkt vergleichbar sind. Die Homogenisierung wird durch das Anwenden einer Methodik erreicht, welche einem international anerkannten Standard entspricht.
Dies ist ein sehr aufwändiges Unterfangen, da auch die Bodenbeschaffenheit im gesamten Bundesgebiet mitbetrachtet werden muss. In der Folge werden Modelle zur Ausbreitung von Bodenbewegungen entwickelt. Die neue Erdbebengefährdungskarte soll der verbesserten Sicherheit der Bevölkerung dienen. Damit wird es besser möglich sein, die Bauvorschriften anzupassen. Dieses Produkt wird aber auch dem Krisenmangement und dem Katastrophenschutz von großem Nutzen sein, weil in kürzester Zeit bessere Angaben über die Schadensabschätzung im Epizentralgebiet gegeben werden können.
Die Europäische Seismologische Kommission (ESC) veranstaltet im September 2016 in Triest ihre Generalversammlung, bei der viele Vorträge das Friauler Erdbeben des Jahres 1976 zum Thema haben. In Zusammenarbeit von verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen wie Bauingeneurwesen, Geschichtsforschung, Sozialwissenschaften und Geowissenschaften sollen unter Verwendung überarbeiteter und grenzüberschreitender homogenisierter Datensätze neue Erkenntnisse über Erdbeben und deren Auswirkungen gewonnen werden.
Weitere Links:
Erdbeben: https://de.wikipedia.org/wiki/Erdbeben_von_Friaul_1976
Baunorm: http://www.oge.or.at/oge_norm.htm
Ausstellung: http://www.tieremotus.it/de/index.html