Geophysik / News / Vor 50 Jahren - Das Semmering-Erdbeben vom 27. Oktober 1964

27.10.2014

Vor 50 Jahren - Das Semmering-Erdbeben vom 27. Oktober 1964

Übersicht

Am 27. Oktober erschütterte um 20:46 Uhr MEZ ein Erdbeben der Magnitude 5,3 weite Teile Österreichs. Das Epizentrum lag am Semmering an der Grenze zwischen der Steiermark und Niederösterreich (47,63°N; 15,81°O). Mit einer Magnitude von 5,3 gehört dieses Beben zu den drei stärksten Beben, die in Österreich seit dem Jahr 1900 gemessen wurden.

Wegen der relativ großen Herdtiefe von etwa 15 km gab es keine starken Gebäudeschäden, wie dies bei Erdbeben dieser Magnitude durchaus möglich wäre. So blieb es bei Rissen und Sprüngen im Mauerwerk, Herabfallen von Dachziegeln und Mauerputz sowie Beschädigungen an Rauchfängen. Basierend auf mehr als 1000 Briefen aus der Bevölkerung über ihre Erdbebenbeobachtungen wurde die Intensität mit 6-7 Grad auf der 12-stufigen Europäischen Makroseismischen Skala (EMS-98) bestimmt. Mindestens 21 Nachbeben wurden von der Bevölkerung gemeldet, die aber deutlich schwächer als das Hauptbeben waren.

Vor 50 Jahren - Das Semmering-Erdbeben vom 27. Oktober 1964

Ausschnitt aus der Tageszeitung „Neues Österreich“, 29. Oktober 1964.

Der Semmering war im Lauf der Geschichte immer wieder von Erdbeben betroffen, die aber allesamt schwächer als das Beben von 1964 waren. Die tektonische Ursache für die Erdbebentätigkeit in diesem Gebiet ist die horizontale Verschiebung entlang der Mur-Mürztalstörung, die in weiterer Folge die Aufweitung des östlich anschließenden Wiener Beckens bewirkt.

 

Instrumentelle Aufzeichnung des Bebens

Aufgrund der Stärke der Bodenbewegung fiel der Wiechert-Seismograph auf der Hohen Warte in Wien nach dem Eintreffen der ersten Welle um 20:46:23.5 Uhr MEZ aus, da die Registriernadel aus der Verankerung geworfen wurde. Mit dem zweiten in Wien stationierten Seismographen, dem Conrad-Pendel, wurde das Erdbeben jedoch einwandfrei aufgezeichnet. Das Erdbeben war so stark, dass es an zahlreichen Stationen weltweit registriert wurde.

Vor 50 Jahren - Das Semmering-Erdbeben vom 27. Oktober 1964

Original-Seismogramm des Semmeringbebens vom 27. Oktober 1964 aus dem Archiv der ZAMG. Der Zeitpunkt 20:46 Uhr ist gekennzeichnet, es ist die letzte „Minutenmarke“ vor dem Eintreffen der seismisichen Welle (© ZAMG).

 

Die Auswirkungen des Bebens

Im Jahrbuch der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik für das Jahr 1964 ist über die Auswirkungen des Erdbebens Folgendes zu lesen:

„Das Beben am 27. Oktober war das stärkste in Ostösterreich seit dem Jahre 1939. Das makroseismische Epizentrum befand sich nahe der Passhöhe auf der steirischen Seite des Semmerings. Die stärkste Bebenwirkung berichteten die Orte Spital a. S. und Prein a. d. Rax, aber auch Rettenegg, Payerbach-Reichenau und das obere Pittental meldeten noch Bebenstärke 6,5°1... Die 6°-Isoseiste2 berührt im Norden Wiener Neustadt und schließt im Süden Rohrbach und Vorau mit ein. Im ganzen Areal verursachte das starke Beben zwar an vielen Gebäuden Beschädigungen, doch waren diese nicht ernstlicher Natur und traten vorwiegend an Häusern minder guten Bauzustandes auf.“

1 Bebenstärke nach der 12-stufigen Skala von Mercalli-Sieberg (die heute verwendete Europäische
   Makroseismische Skala 1998 (EMS-98)  wurde von dieser Skala abgeleitet).

2 Die 6°-Isoseiste begrenzt das Gebiet, in dem leichte Gebäudeschäden entstanden sind.

Die Erschütterungen des Bebens konnten in fast allen Bundesländern (außer Tirol und Vorarlberg) sowie in der damaligen Tschechoslowakei und in südlichen Teilen der DDR von der Bevölkerung deutlich verspürt werden. Am stärksten waren die Auswirkungen naturgemäß im Bereich des Epizentrums.

 

Darstellung der Erschütterungsstärke

Um das Schüttergebiet darzustellen, wurden Isoseistenkarten gezeichnet. Sie zeigen alle Orte, aus denen Wahrnehmungsberichte eingetroffen sind, sowie die dazugehörige Intensität (Stärke der Fühlbarkeit nach Mercalli-Sieberg bzw. EMS-98). In den Karten werden Gebiete gleicher Intensität zusammengefasst und mithilfe von Linien –  den sogenannten Isoseisten – voneinander abgegrenzt. Folgende Abbildungen zeigen das händisch gezeichnete Original sowie die Druckfassung aus dem Jahr 1964.

Vor 50 Jahren - Das Semmering-Erdbeben vom 27. Oktober 1964

Manuell angefertigte und gedruckte Isoseistenkarte aus dem Jahr 1964. Quelle: Archiv der ZAMG (© ZAMG).

 

Auswirkungen in Wien

In der Bundeshauptstadt wurde das Erdbeben trotz einer Epizentralentfernung von etwa 75 km zum Teil stark verspürt. Der Grund dafür liegt vor allem an der starken Abstrahlung der Erschütterungen nach Norden und der Verstärkung der Bodenbeschleunigungen durch die Lockersedimente im Untergrund.

Im Archiv der ZAMG befinden sich mehr als 1250 Wahrnehmungsberichte, die damals per Post gesendet wurden. Zahlreiche Personen haben auch telefonisch ihre Wahrnehmungen gemeldet, die schriftlich festgehalten wurden. Folgende Abbildung zeigt einige Beispiele, wie stark das Erdbeben in Wien beobachtet wurde.

Vor 50 Jahren - Das Semmering-Erdbeben vom 27. Oktober 1964

Zusammenfassung einiger telefonischer Erdbebenmeldungen aus Wien. Originaldokument aus dem Jahr 1964.

Einstigen Zeitungsberichten zufolge kam es im Wiener Burgtheater zu einer Unterbrechung der Vorstellung, da bei den ersten Erdstößen die Schauspieler von der Bühne liefen. Auch im Theater in der Josefstadt sprang etwa die Hälfte aller Zuschauer von ihren Sitzen auf. Nach einem kurzen Stocken setzten jedoch die auf der Bühne stehenden Schauspieler Gertraud Jesserer und Leopold Rudolf ihre Liebesszene fort, und die Lage beruhigte sich sofort. Ähnliches spielte sich bei einem Auftritt von Zarah Leander in „Lady aus Paris“ im Raimundtheater ab.

 

Intensitätskarte aus dem Projekt HISTO-DB

Im Rahmen des Projektes HISTO-DB wurde der Österreichische Erdbebenkatalog (1000-2014) um etwa 20000 Makroseismische Datenpunkte erweitert. Diese Datenpunkte zeigen an, wie groß die Auswirkungen eines Erdbebens an einem bestimmten Ort waren. Basierend auf diesen lokalen Intensitäten (EMS-98) lässt sich die Erdbebengeschichte der einzelnen Orten nachvollziehen.

Vor 50 Jahren - Das Semmering-Erdbeben vom 27. Oktober 1964

Verteilung der makroseismischen Datenpunkte für das Semmering-Erdbeben von 27. Oktober 1964 (ohne Meldungen aus dem Ausland).

Teaserportlet Bebenkarte groß
Karten und Listen seismischer Aktivität

Aktuelle Erdbeben… mehr  •••

Umfeld eines Stollens © ZAMG
Angewandte Geophysik

Angewandte Geophysik… mehr  •••

Live-Seismogramm
Historische Erdbeben
Holzschnitt aus der 'Weltchronik' von Hartmann Schedel, 1493. 'Und der Engel nahm das Rauchfaß und füllte es mit Feuer vom Altar und warf es auf die Erde, und Donner folgten, Getöse, Blitze und Beben.' Offenbarung 8,5 © ZAMG Geophysik Hammerl
Magnetik
Willkommen bei der Magnetik der geophysikalischen Abteilung der ZAMG. © ZAMG Geophysik
Conrad Observatorium
Willkommen am Conrad Observatorium. © Gerhard Ramsebner