Antarktis
Laut dem letzten IPCC Bericht (IPCC, 2021) verliert die Antarktis aktuell an Masse und hat auch in den letzten 30 Jahren an Masse verloren.
Dynamischer als angenommen
Die Bestimmung des Massenhaushalts der Antarktis ist mit großen Unsicherheiten verbunden. Das ist vor allem auf die Größe und die lebensfeindlichen Bedingungen des Kontinents zurückzuführen. Die Folge sind räumlich relativ spärliche Daten für nur kurze Zeiträume, die das Treffen von verlässlichen Aussagen erschweren. Trotzdem zeigen unabhängige, wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre übereinstimmend einen Massenverlust.
Die weltweit größte Ansammlung an Eis findet man auf dem antarktischen Kontinent. Die Antarktis ist mit einer mittleren Seehöhe von mehr als 2200 m der höchstgelegenste und trockenste Kontinent der Erde. Das antarktische Eisschild weist eine mittlere Eisdicke von 2126 m mit Maximaltiefen von über 4000 m auf (Abb. 1). Unter der antarktischen Eisdecke hat man in den letzten Jahren über Fernerkundungs- und geophysikalische Erkundungsmethoden hunderte subglaziale, das heißt unter dem Eis liegende, Seen entdeckt, die teilweise miteinander verbunden sind.
Hunderte unterirdische Seen beeinflussen die Eisdynamik
Dieses subglaziale Wasser und dessen Dynamik hat wahrscheinlich großen Einfluss auf die Eisdynamik und somit auch auf den Massenhaushalt. Das Verständnis dieses Einflusses ist momentan noch sehr lückenhaft und kann noch nicht in Modelle gefasst werden. Aufgrund der möglichen folgenschweren Konsequenzen des eustatischen Meeresspiegelanstiegs handelt es sich hierbei um ein hochaktuelles Forschungsthema.
Oberflächlich schmilzt das Eis kaum
Der Massenhaushalt des antarktischen Eisschilds wird vor allem von eisdynamischen Vorgängen dominiert. Betrachtet man die Karte der mittleren Jahrestemperaturen der Antarktis (Abb. 2), so ist ersichtlich, dass oberflächliche Schmelzvorgänge eine untergeordnete Rolle spielen. Lediglich in den küstennahen, wärmeren Gebieten ist dieser Prozess nicht vernachlässigbar.
Der Massenverlust geschieht über Eisströme
Der eisdynamische Massenverlust wird vorwiegend über einzelne, räumlich klar begrenzte Eisströme bewerkstelligt (Abb. 3), die sich in subglazialen Talstrukturen bilden. Bei Eisströmen kann man aktivere und ruhigere Phasen beobachten. Die Variabilität der Fließgeschwindigkeit ist auf räumliche Variationen in der Akkumulation, der Gezeiten oder auch auf Eigenschaften der Gletscherbettgeometrie, um die Wichtigsten hier zu nennen, zurückzuführen und weist zeitlich große Schwankungen, die von einzelnen Stunden bis zu Jahrhunderten umfassen können, auf. Welchen Einfluss die rezente Klimaerwärmung auf die Fließgeschwindigkeit der Eisströme hat, ist noch unzureichend geklärt und stellt aktuell einen Forschungsschwerpunkt in der Glaziologie dar.
Kalben bis zum Kollaps
Viele Eisströme der Antarktis münden in ein Eisschelf. Bei einem Eisschelf handelt es sich um einige hundert Meter bis wenige Kilometer dickere, schwimmende Eisplatten, die aber noch mit dem Eis auf dem Festland verbunden sind. Das Ende eines Eisschelfs bildet eine nahezu vertikale Eiswand zum Meer. Über den Prozess des Kalbens, das das Abrechen der Eisschollen beschreibt, verliert das Eisschelf an Masse und dieser Prozess geschieht unterschiedlich schnell. Sehr hohe Kalbungsraten, die bis zum völligen Kollaps des Eisschelfs führen, konnte man in den letzten Jahrzehnten vor allem an der antarktischen Halbinsel beobachten, die in Abb. 4 dargestellt ist.
Komplexe Eisdynamik
Das Abschmelzen bzw. Kollabieren eines Eisschelfs hat keinen direkten Einfluss auf den eustatischen Meeresspiegelanstieg. Eine indirekte Folge ist aber eine zwei- bis achtfache Beschleunigung der unmittelbar angrenzenden Eisströme. Dies führt zu einem erhöhten Massenverlust des Inlandeises und einem Meeresspiegelanstieg. Die Prozesse die zur Disintegration eines Eisschelfs führen und die Folgen sind aktueller Forschungsschwerpunkt. Der globale Anstieg der Luft- und infolgedessen der Meerestemperatur sowie die Meeresströmungen sind jedenfalls wesentliche Einflussfaktoren. Für die Schmelze an der Eisschelf-Ozeanwasser-Grenze aufgrund des Zustroms von wärmerem Meerwasser, konnte man Beträge von mehreren Metern pro Jahr beobachten.
Die Antarktis verliert an Masse
Die verbesserte Methodik zur Erfassen der Eisschilde der Erde lässt ein immer konsistenteres Bild über den Zustand der Antarktis zu. Laut dem letzten IPCC Bericht (IPCC, 2021) verliert die Antarktis aktuell an Masse und hat auch in den letzten Jahren an Masse verloren. Die im IPCC (2021) publizierten Verlustraten sind das Ergebnis aktueller Studien von unterschiedlichen Forschungsgruppen. Die Einzelergebnisse wurden dabei mit den unterschiedlichen methodischen Massenbilanzansätzen berechnet.Im Zeitraum 1992 – 2020 hat die gesamte Antarktis 2671 (± 530) Gigatonnen an Masse verloren, was einem durchschnittlichen Verlust von 92 (± 18) Gigatonnen pro Jahr [Gt/a] entspricht. Das entspricht einem Meeresspiegelanstieg von 7.4 (± 1.5) mm im Zeitraum von 1992 – 2020.
Zusammenfassend zeigt sich aber kein einheitliches Verhalten der Antarktis (siehe „Regionen der Antarktis“). Die Beobachtungen der letzten Jahre zeigen ein dynamisches Bild der Antarktis, dass noch vor einem Jahrzehnt undenkbar gewesen wäre. Die aktuellen Massenverluste werden vor allem durch die Beschleunigung von Ausflussgletschern der nördlichen antarktischen Halbinsel und der Amundsen See (West-Antarktis) verursacht. Während die antarktische Halbinsel und die Westantarktis einen sich beschleunigenden Massenverlust zeigen, konnte für die Ostantarktis ein Massenzuwachs verzeichnet werden.
Literatur:
Bindschadler R. (2006): Hitting the ice sheets where it hurts. Science 311, 1720–1721, doi:10.1126/science.1125226
Chen J.L., Wilson C.R., Blankenship D., Tapley B.D. (2009): Accelerated Antarctic ice loss from satellite gravity measurements. Nature Geoscience 2/12, 859-862, doi:10.1038/NGEO694
Cook A.J., Vaughan D.G. (2010): Overview of areal changes of the ice shelves on the Antarctic Peninsula over the past 50 years. The Cryosphere 4, 77–98, doi:10.5194/tc-4-77-2010 (PDF-Datei; 19,0 MB)
Dixon D.A. (2008): Antarctic Mean Annual Temperature Map. Boulder, Colorado USA: National Snow and Ice Data Center. Digital Media (Website)
Fox-Kemper, B., H.T. Hewitt, C. Xiao, G. Aðalgeirsdóttir, S.S. Drijfhout, T.L. Edwards, N.R. Golledge, M. Hemer, R.E. Kopp, G. Krinner, A. Mix, D. Notz, S. Nowicki, I.S. Nurhati, L. Ruiz, J.-B. Sallée, A.B.A. Slangen, and Y. Yu, 2021: Ocean, Cryosphere and Sea Level Change. In Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, pp. 1211–1362, doi:10.1017/9781009157896.011.
Fricker H.A., Scambos T.A., Bindschadler R., Padman L. (2007): An active subglacial water system in West Antarctica mapped from space. Science 315, 1544, doi:10.1126/science.1136897
Glasser N.F., Scambos T.A. (2008): A structural glaciological analysis of the 2002 Larsen B ice shelf collapse. Journal of Glaciology 54/184, 3–16, doi:10.3189/002214308784409017
Hambrey M., Alean J. (2004): Glaciers. 2. Aufl. Cambridge: Cambridge University Press, 394 Seiten, ISBN 9780521828086
Otosaka, I. N., A. Shepherd, E. R. Ivins, N.-J. Schlegel, C. Amory, M. R. Van Den Broeke, M. Horwath, I. Joughin, M. D. King, G. Krinner, S. Nowicki, A. J. Payne, E. Rignot, T. Scambos, K. M. Simon, B. E. Smith, L. S. Sørensen, I. Velicogna, P. L. Whitehouse, G. A, C. Agosta, A. P. Ahlstrøm, A. Blazquez, W. Colgan, M. E. Engdahl, X. Fettweis, R. Forsberg, H. Gallée, A. Gardner, L. Gilbert, N. Gourmelen, A. Groh, B. C. Gunter, C. Harig, V. Helm, S. A. Khan, C. Kittel, H. Konrad, P. L. Langen, B. S. Lecavalier, C.-C. Liang, B. D. Loomis, M. McMillan, D. Melini, S. H. Mernild, R. Mottram, J. Mouginot, J. Nilsson, B. Noël, M. E. Pattle, W. R. Peltier, N. Pie, M. Roca, I. Sasgen, H. V. Save, K.-W. Seo, B. Scheuchl, E. J. O. Schrama, L. Schröder, S. B. Simonsen, T. Slater, G. Spada, T. C. Sutterley, B. D. Vishwakarma, J. M. Van Wessem, D. Wiese, W. Van Der Wal und B. Wouters (2023): Mass balance of the Greenland and Antarctic ice sheets from 1992 to 2020. In: Earth System Science Data 15 (4): 1597–1616.
Pritchard H.D., Vaughan D.G. (2007): Widespread acceleration of tidewater glaciers on the Antarctic Peninsula. Journal of Geophysical Research 112, doi:10.1029/2006JF000597
Rignot E., Bamber J.L., van den Broeke M.R., Davis C., LI Y., van de Berg W.J., van Meijgaard E. (2008): Recent Antarctic ice mass loss from radar interferometry and regional climate modelling. Nature Geoscience 1/2, 106–110, doi:10.1038/ngeo102
Rignot E., Mouginot J. (2011): Ice flow of the Antarctic ice sheet. Science 333, 1427–1430, doi:10.1126/science.1028336
Rignot E., Velicogna I., van den Broeke M. R., Monaghan A., Lenaerts J. (2011): Acceleration of the contribution of the Greenland and Antarctic ice sheets to sea level rise. Geophysical Research Letters 38, L05503, doi:10.1029/2011GL046583
Rott H., Skvarca P., Nagler T. (1996): Rapid collapse of northern Larsen Ice Shelf, Antarctica. Science 271, 788–792, doi:10.1126/science.271.5250.788
Sheperd A., Wingham D. (2007): Recent sea-level contributions of the Antarctic and Greenland ice sheets. Science 315, 1529–1532, doi:10.1126/science.1136776
Siegert M.J., Carter S., Tabacco I., Popov S. and Blankenship, D.D. (2005): A revised inventory of Antarctic subglacial lakes. Antarctic Science 17, 453–460, doi:10.1017/S0954102005002889
Turner J., Bindschadler R., Convey P., di Prisco G., Fahrbach E., Gutt J., Hodgson D., Mayewski P., Summerhayes C. (2009): Antarctic climate change and the enviroment. Cambridge: Scientific Committee on Antarctic Research, 529 Seiten.
Wu X., Heflin M.B., Schotman H., Vermeersen B.L.A., Dong D., Gross R.S., Ivins E.R., Moore A.W., Owen S.E. (2010): Simultaneous estimation of global present-day water transport and glacial isostatic adjustement. Nature Geoscience 3/9, 642–646, doi:10.1038/ngeo938