Klimarekonstruktion
Fächerübergreifende Detektivarbeit
Die Periode der instrumentellen Klimamessung reicht in globaler Abdeckung rund 150 Jahre, in Mitteleuropa rund 250 Jahre zurück. Für das Klima der Zeit davor, das Paläoklima, geben nur indirekte Informationen Auskunft über die Änderungen des Klimas. Aus dem Englischen hat sich für diese Art von Klimadaten der Ausdruck „Proxydaten“ oder „Proxys“ eingebürgert. Um das Klima indirekt rekonstruieren zu können, muss man nach Auswirkungen des Klimas suchen, die sich bis heute in irgendwelchen Archiven erhalten haben und bei ausreichend guter Datierbarkeit so etwas wie einen Klimakalender der Vergangenheit darstellen können.
- Tiefseebohrkerne
-
-
Ablagerungen am Meeresgrund geben Aufschluss über Temperatur-schwankungen vor bis zu 200 Mio. Jahren.
mehr •••
- Seesedimente
-
-
Biologische Überreste und mineralische Komponenten in Seeböden erlauben die Rekonstruktion vergangener Klimaverhältnisse.
mehr •••
- Eisbohrkerne
-
-
Die Luft früherer Jahrtausende und Jahrhunderttausende kann in den im Eis eingeschlossenen Luftbläschen analysiert werden.
mehr •••
- Tropfsteine
-
-
Der chemische Inhalt von Stalaktiten und Stalagmiten erzählt von den Temperatur- und Niederschlagsverhältnissen zu ihrer Entstehungszeit.
mehr •••
- Baumringe
-
-
Aus Wachstumsringen von Bäumen können Informationen über Lufttemperatur oder Niederschlag gewonnen werden.
mehr •••
- Historische Archive
-
-
Neben den naturwissenschaftlichen Ansätzen durchforstet auch die Geschichtsforschung Dokumente nach Hinweisen mit Klimabezug.
mehr •••
- Hochwasser
-
-
Die Rekonstruktion und Analyse langer Reihen des Hochwasserrisikos stellt eine solide Basis zur Interpretation von Hochwassertrends dar.
mehr •••
Proxys – konserviert und datierbar
Kenntnisse aus Klimatologie, Physik, Biologie, Glaziologie, Ozeanologie, Limnologie, Speläologie oder Geschichte und oft die Zusammenschau mehrerer Fachrichtungen sind also Voraussetzung für die richtige Einordnung eines neuen Wissensteils in das unvollständige Puzzle der Klimageschichte und für die Schaffung einer geeigneten Ausgangslage für Szenarien der Klimazukunft.
Das Klimasignal filtern
Bei all diesen Methoden muss das gewünschte Klimasignal aus einer Vielzahl von Einflussfaktoren herausgefiltert werden. Die genaue Datierung und Lokalisierung verursacht weitere Unsicherheiten. Oft sind die gewonnenen Rückschlüsse mehrdeutig, auf die Umgebung des Fundortes beschränkt und lückenhaft. Meist werfen paläoklimatologische Untersuchungen nur ein unscharfes Schlaglicht in einen zeitlich und räumlich begrenzten Ausschnitt der Klimavergangenheit. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das Bild der Klimavergangenheit umso unschärfer wird, je weiter man zurückblicken will (Abb. 1, vgl. auch Abb. 1 im Artikel zu Paläoklima und Abb. 1 im Artikel zu Geschichte der Klimamessung). Gute Ergebnisse erzielt man, wenn man mehrere unabhängige Proxys zur Verfügung hat (Multiproxy-Analyse). Der Idealfall tritt ein, wenn sich die Ergebnisse noch gegen Modellergebnisse der Klimavergangenheit vergleichend testen lassen.
Bildergalerie:
Literatur:
Glaser R. (2008): Klimageschichte Mitteleuropas. 1200 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. 2. Aufl. Darmstadt: Primus, 272 Seiten, ISBN 978-3-89678-604-3
Gornitz V. (Hg.) (2009): Encyclopedia of paleoclimatology and ancient environments. New York: Springer, 1049 Seiten, ISBN 978-1-4020-4551-6
Jones P.D., Briffa K.R., Osborn T.J., Lough J.M., van Ommen T.D., Vinther B.M., Luterbacher J. , Wahl E., Zwiers F.W., Schmidt G.A., Ammann C., Mann M.E., Buckley B.M., Cobb K., Esper J., Goosse H., Graham N., Jansen E., Kiefer, T., Kull C., Küttel M., Mosley-Thompson E., Overpeck J.T., Riedwyl N., Schulz M., Tudhope S., Villalba R., Wanner H., Wolff E., Xoplaki E. (2009): High-resolution paleoclimatology of the last millennium. A review of current status and future prospects. Holocene 19/1, 3–49, doi:10.1177/0959683608098952
Pfister C. (1999): Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen (1496–1995). Bern, Wien: Haupt, 304 Seiten, ISBN 978-3258056968