Baumringe

Aus Wachstumsringen von Bäumen können Informationen über Lufttemperatur oder Niederschlag gewonnen werden.

Klimazeuge Baum

Schon Leonardo da Vinci beschrieb die Abhängigkeit der Jahresringe in Bäumen von meteorologischen Einflussfaktoren. Eine wissenschaftliche Spezialdisziplin wurde die Dendroklimatologie jedoch erst im 20. Jahrhundert. Aufgrund der jährlichen Auflösung, der weiten Verfügbarkeit, und der genauen Datierbarkeit zählt sie zu den am häufigsten verwendeten Methoden zur Klimarekonstruktion für die Zeit vor direkten Messungen. Die längsten zusammengesetzten Chronologien reichen 10.000 Jahre zurück, für Rekonstruktionen werden meist Jahrringdaten der letzten 2000 Jahre verwendet.

Bäume sind ihrem Wachstum von diversen Umweltbedingungen, wie Wasserverfügbarkeit, Sonnenlicht, Temperatur, Nährstoffen im Boden, Schädlingsbefall, Standortsdynamiken und forstlichen Maßnahmen abhängig. Im gemäßigten Klima wird im Winter die Holzbildung unterbrochen. Unterschiede in den über die Wachstumsperiode gebildeten Zellen machen jährliche Zuwachsringe am Stammquerschnitt sichtbar. Die Breite der Jahrringe wird nahe der polaren Baumgrenze oder der vertikalen Baumgrenze im Gebirge, von der Temperatur und damit der Länge der Wachstumsperiode beeinflusst. In Trockengebieten wird sie durch den Niederschlag bzw. die Bodenfeuchte bestimmt. Die Dendroklimatologie verwendet die jährlich aufgelösten Wachstumsringe für die Rekonstruktion und Analyse vergangener Klimavariabilität. Meist werden dafür die Jahrringbreite, die Breite von Zonen innerhalb eines Jahrringes (z.B. Früh- und Spätholz), sowie Dichtemessungen wie die maximale Jahrringdichte verwendet. In den letzten Jahren gewinnen auch Zeitreihen chemischer Messungen an Jahrringen (stabile Isotope) an Bedeutung.

1-2-5_Abb1
Abb. 1: Dendroklimatologische Praxis. Links: Beproben einer niederschlagssensitiven Schwarzföhre auf der Hohen Wand zur Rekonstruktion des Niederschlags im Raum Wien (Grabner M., Institut für Holzforschung, BOKU Wien). Rechts: Stammscheibe aus einer Holzkonstruktion des Schlosses Tirol in Meran aus dem 14. Jahrhundert (Nicolussi K., Institut für Geographie, Universität Innsbruck).

Zeitliches Puzzle

Durch die Sammlung und wechselseitige zeitliche Einreihung vieler einzelner, auch längst abgestorbener Holzstücke lässt sich ein immer länger zurückreichender Klimakalender einer bestimmten Region erstellen. In einigen Gegenden sind Dendroklimatologien von mehreren tausend Jahren erarbeitet worden. Ein bis ins 8. Jahrhundert zurückreichender temperatursensitiver Jahrringkalender aus den Alpen ist in Abbildung 2 (vgl. auch HISTALP) zu sehen. In den Ostalpen konnten zum Teil mehrere Jahrtausende alte Baumstrünke aus den Moränen des Gepatschferners und der Gletscherzunge der Pasterze zur kombinierten Klimarekonstruktion mit historischen Archiven benutzt werden. Abbildung 3 zeigt eine 400-jährige Niederschlagsrekonstruktion aus Spätholzbreiten von Kiefern im Weinviertel.

1-2-5_Abb2
Abb. 2: Aus Jahrringen rekonstruierte Sommer-Frühherbst-Temperatur (Juni bis September) in den Alpen 755–1850 (schwarz) und entsprechende hochalpine HISTALP-Messdaten 1851–2006 (rot). Dargestellt sind jährliche Abweichungen vom Mittel der Jahre 1901–2000 (dünne Linien) und deren geglättete Trends (dicke Linien) (Büntgen u.a. 2005, 2006; Auer u.a. 2007).

 

1-2-5_Abb3
Abb. 3: Aus Jahrringen rekonstruierte Niederschlagssumme in der Vegetationsperiode (April–August) ab dem Jahr 1600 und Messdaten (HISTALP) im Weinviertel (Daten aus Karanitsch-Ackerl u.a. 2019, Auer u.a. 2007).

Temperatur, Niederschlag, oder doch Schädlinge, Hangrutschung und Wind?

Eine Schwierigkeit in der Dendroklimatologie besteht in der Filterung des Klimasignals. Andere Einflüsse wie Schäden am Baum durch Windbruch, Tiere oder menschlichen Einfluss, Konkurrenz durch andere Bäume, Winddruck und Erdbewegungen überlagern das rein temperatur- oder niederschlagsabhängige Wachstum. Außerdem ist die Breite eines Jahrrings vom Alter des Baumes abhängig. Durch Anwendung statistischer Methoden können diverse Störfaktoren entfernt werden. Das in den Jahrring-Zeitreihen enthaltene Klimasignal wird dann in weiterer Folge mit gemessenen meteorologischen Daten in Beziehung gesetzt. Besonders Merkmale der mittelfristigen Klimaentwicklung von Jahrzehnten und Jahrhunderten werden gut erfasst. Allerdings macht das Klimasignal selbst im Idealfall nur rund 60 % der in den Bäumen gemessenen Variationen aus. Außerdem sind die Ergebnisse jahreszeitlich hauptsächlich auf die Wachstumsperiode bezogen. Die Vorteile der jährlichen Auflösung, der absoluten Datierbarkeit sowie der guten Verfügbarkeit in mittleren Breiten machen die Dendroklimatologie jedoch zu einer wichtigen Informationsquelle für das Klima der vorinstrumentellen Zeit.

Alpen: Viele Möglichkeiten, viele Schwierigkeiten

Der Alpenraum zählt auch im Hinblick auf das Potenzial anderer Proxies zu den höchstentwickelten Gegenden der Erde. Abbildung 4 enthält eine Übersichtskarte der räumlichen Verteilung der Jahrring-Zeitreihen, die im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts mit dem Ziel der Zusammenschau von direkten und indirekten Klimadaten mit Modellläufen entstand. Allerdings ist die Klimaentwicklung in den Alpen schwierig zu erfassen, vor allem wenn es darum geht, die gesammelten Punktinformationen mit physikalischen regionalen Klimamodellen zu einem konsistenten Gesamtbild zusammenzufügen.

1-2-5_Abb4
Abb. 4: Die zum Zeitpunkt 2006 existierenden Standorte mit analysierter Klimainformation im Großraum Alpen. Angeführt sind die verschiedenen Baumarten (ABAL Abies alba, Weißtanne – LADE Larix decidua, Lärche – PCAB Picea abies, Fichte, Rottanne – PICE Pinus cembra, Zirbe – PINI Pinus nigra, Schwarzföhre – PISY Pinus sylvestris, gemeine Kiefer, Rotföhre) (Böhm 2006).

Jahrringe im sechsten Sachstandsbericht des IPCC

Im aktuellen, sechsten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC AR6) sind Jahrring-Daten als Bestandteil von so genannten „Multi-Proxy Rekonstruktionen“ enthalten. Dabei werden verschiedenste natürliche Archive, wie Eisbohrkerne, Korallen und Muscheln, Sedimentschichten u.a. gemeinsam verwendet. Abbildung 5 aus dem Sachstandsbericht zeigt, dass aktuell beobachtete Temperaturen die Temperaturvariabilität der letzten 2000 Jahre deutlich übersteigen.

1-2-5_Abb5
Abb. 5: Im sechsten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC AR6) wird die Temperaturentwicklung der letzten 2000 Jahre, aus einer auch Jahrringdaten umfassenden „Multi-Proxy“-Rekonstruktion, mit der beobachteten Erwärmung in den gemessenen Daten der letzten Jahrzehnte verglichen (IPCC 2021, Fig. SPM.1, (a)).

 

Bildergalerie:

1-2-5_Abb6
Abb. 6: Ein Zirbenstamm, der im 17. Jahrhundert v. Chr. durch einen Vorstoß des Gepatschferners gefällt und im Moränenschutt dieses Tiroler Gletschers konserviert wurde (Patzelt G., Institut für Hochgebirgsforschung, Universität Innsbruck).

1-2-5_Abb7
Abb. 7: Historische Holzhäuser im Schweizer Lötschental – wertvoller „Rohstoff“ für Dendroklimatologen (Böhm R., ZAMG).

1-2-5_Abb8
Abb. 8: Lärchen an der alpinen Baumgrenze im Heiligenbluter Kleinfleißtal. Das Wachstum der Bäume wird hier vor allem durch die Temperatur bestimmt (Böhm R., ZAMG).


 

Literatur:

Anchukaitis, K.J. (2017): Tree rings reveal climate change past, present, and future. Proceedings of the American Philosophical Society 161(3): 244–263 (PDF-Datei; 1,46 MB)

Auer I., Böhm R., Jurkovic A., Lipa W., Orlik A., Potzmann R., Schöner W., Ungersböck M., Matulla C., Briffa K., Jones P.D., Efthymiadis D., Brunetti M., Nanni T., Maugeri M., Mercalli L., Mestre O., Moisselin J.M., Begert M., Müller-Westermeier G., Kveton V., Bochnicek O., Stastny P., Lapin M., Szalai S., Szentimrey T., Cegnar T., Dolinar M., Gajic-Capka M., Zaninovic K., Majstorovic Z., Nieplova E. (2007): HISTALP – historical instrumental climatological surface time series of the Greater Alpine Region 1760–2003. International Journal of Climatology 27, 17–46, doi:10.1002/joc.1377

Böhm R. (Hg.) (2006): ALP-IMP. Multi-centennial climate variability in the Alps based on instrumental data, model simulations and proxy data. Wien: Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Projektbericht, 102 Seiten (PDF-Datei; 5,6 MB)

Böhm R. (2010): Heiße Luft – nach Kopenhagen. Reizwort Klimawandel. Fakten – Ängste Geschäfte. 2. Aufl. Wien, Klosterneuburg: Edition Va Bene, 280 Seiten, ISBN 978-3851672435

Büntgen U., Esper J., Frank D.C., Nicolussi K., Schmidhalter M. (2005): A 1052-year tree-ring proxy for Alpine summer temperatures. Climate Dynamics 25, 141–153, doi:10.1007/s00382-005-0028-1

Büntgen U., Frank D.C., Nievergelt D., Esper J. (2006): Summer temperature variations in the European Alps, AD 755–2004. Journal of Climate 19, 5606–5623, doi:10.1175/JCLI3917.1

Cook, E. R., Seager, R., Kushnir, Y., Briffa, K. R., Büntgen, U., Frank, D., ... & Zang, C. (2015): Old World megadroughts and pluvials during the Common Era. Science advances, 1(10), e1500561, doi:10.1126/sciadv.1500561

IPCC (2021): Summary for Policymakers. In: Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [MassonDelmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)]. Cambridge University Press. In Press.

Karanitsch-Ackerl, S., Mayer, K., Gauster, T., Laaha, G., Holawe, F., Wimmer, R., & Grabner, M. (2019): A 400-year reconstruction of spring–summer precipitation and summer low flow from regional tree-ring chronologies in North-Eastern Austria. Journal of Hydrology, 577, 123986, doi:10.1016/j.jhydrol.2019.123986

Nicolussi K. und Patzelt G. (2001): Untersuchungen zur holozänen Gletscherentwicklung von Pasterze und Gepatschferner (Ostalpen). Zeitschrift für Gletscherkunde und Glazialgeologie 36, 1–87.

Sheppard, P. R. (2010): Dendroclimatology: extracting climate from trees. Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change, 1(3), 343-352, doi:10.1002/wcc.42

Wilson, R., Anchukaitis, K., Briffa, K. R., Büntgen, U., Cook, E., D'arrigo, R., ... & Zorita, E. (2016): Last millennium northern hemisphere summer temperatures from tree rings: Part I: The long term context. Quaternary Science Reviews, 134, 1-18, doi:10.1016/j.quascirev.2015.12.005

Sonnblick-Observatorium
zur Sonnblick-Website (© ZAMG)
Phänologie-PhenoWatch
zum Phänologie-Portal (© ZAMG)
HISTALP
zur HISTALP-Website (© ZAMG)