2.000 Jahre

Spätantike, Mittelalter, Neuzeit

Innerhalb des deutlich geringen Schwankungsbereichs des Holozäns lösten in der nachchristlichen Zeit kühlere und mildere Abschnitte einander ab: Mäßig kühlen Verhältnissen in der Völkerwanderungszeit folgte das mittelalterliche Klimaoptimum, die Kleine Eiszeit ging in den modernen Temperaturanstieg über. Im Vergleich zu älteren Abschnitten der Erdgeschichte ist die Auflösung der Klimakurven nun sehr scharf, ihre Zuverlässigkeit hoch. Dennoch verbleiben Unklarheiten, deren Klärung entscheidende Bedeutung für die zukünftige Klimaabschätzung hat.

Mit großer Wahrscheinlichkeit waren die Klimaschwankungen der letzten beiden Jahrtausende zumindest nordhemisphärisch. Eine aktuelle Multi-Proxy-Rekonstruktion schlägt für Spätantike und Frühmittelalter leicht unterkühlte Bedingungen im Vergleich zum 20. Jahrhundert vor, von einer Klimaverschlechterung als Mitauslöser der Völkerwanderung ist jedoch nichts zu bemerken (Abb. 1 oben). Das günstige Klima des Hochmittelalters ermöglichte nicht nur ausgedehnten Weinbau in Europa, auch Ausbildung der Staaten, Aufschwung der Städte und Bevölkerungswachstum fallen in diese Zeit.

Weinbau im Mittelalter – Gletscherhöchststände in der Kleinen Eiszeit

Ein kühler Abschnitt vom 15. bis ins 19. Jahrhundert ist als Kleine Eiszeit bekannt geworden. In verringerter solarer Strahlung und gesteigerter vulkanischer Aktivität werden die Hauptursachen dieser natürlichen Kurzfristschwankung gesehen. Missernten und Seuchen der frühen Neuzeit verschärften bestehende soziale Spannungen, Hexenverfolgung und französische Revolution sind in diesem Licht zu sehen. Die Alpengletscher erreichten um 1850 ihre größte Ausdehnung seit der Misox-Schwankung vor etwa 8.200 Jahren.

Instrumentelle Messungen reichen in das Ende der Kleinen Eiszeit, von diesem kühlen Niveau ausgehend zeichnen sie die moderne Erwärmung nach. Der aktuelle Anstieg hatte bereits zur Mitte des 20. Jahrhunderts den Stand der mittelalterlichen Wärmeperiode erreicht. Der zweite Temperaturschub seit 1980, dem verstärkt anthropogene Ursachen zugrunde liegen, ist gerade dabei, dieses Niveau zu übertreffen, die Höhe des frühholozänen Maximums wurde aber wahrscheinlich noch nicht erreicht.

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Abb. 1: Drei Beispiele des rekonstruierten Temperaturverlaufs der letzten 1000 bis 2000 Jahre. Oben: Kombination unterschiedlicher natürlicher und historischer Proxies für das Jahresmittel der gesamten Nordhemisphäre (Moberg u.a. 2005, instrumentell ergänzt durch Brohan et al. 2006). Mitte: Baumringanalyse aus tausenden Bäumen hochalpiner Standorte, die für das Mittel der Monate Juni bis September gilt (Büntgen u.a. 2006, instrumentell ergänzt durch Böhm u.a. 2010). Unten: 1000-jährige globale Klimasimulation für Festlandeuropa und die Monate Juni bis September (Zorita u.a. 2004).

Die zurückliegenden beiden Jahrtausende sind wegen ihres Reichtums an Klimaproxies, besonders Baumringchronologien, klimageschichtlich systematisch erfasst. Über ihr letztes Achtel bestehen aufgrund instrumenteller Messnetze kaum Zweifel. Bemerkenswerterweise hatten schon in den 1960er-Jahren und davor Pioniere der Paläoklimatologie die Hauptklimaphasen des letzten Jahrtausends hauptsächlich aus historischen Quellen in groben Zügen beschrieben.

Von „Hockeyschläger“ zu „Spaghetti“

In den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren wurden Versuche unternommen, flächendeckende Temperaturrekonstruktionen des letzten Jahrtausends für Regionen, Kontinente oder die gesamte Nordhalbkugel zu erstellen. Die ersten dieser ambitionierten Versuche ergaben wenig natürliche Variabilität in den ersten neun Jahrhunderten des Jahrtausends, die im 20. Jahrhundert von einer bedeutend stärkeren Erwärmung gefolgt wurde („Hockeyschläger-Diagramm“). Durch die starke Publizität (vgl. IPPC 2001) und durch die daraus in der öffentlichen Debatte abgeleitete, verkürzte Vorstellung von wenig natürlicher Klimavariabilität entbrannte ein größtenteils unsachlich geführter Streit.

Innerhalb der Fachwissenschaft wurde jedoch weiter viel Arbeit investiert und wie so oft stellte sich die Wahrheit als differenzierter heraus. Das Dogma des Hockeyschlägers wurde innerhalb weniger Jahre von der Gesamtheit breit gestreuter Rekonstruktionen abgelöst („Spaghetti-Diagramm“, Abb. 2; vgl. IPCC 2007). Abbildung 1 zeigt drei einzelne dieser Kurven, die auf ganz unterschiedliche Art entstanden sind und für unterschiedliche Regionen und Jahreszeiten repräsentieren – Tatsachen, die in vereinfachenden Aussagen oft verschwiegen werden.

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Abb. 2: Forschungsstand des Jahres 2006 zu Temperaturrekonstruktionen der Nordhalbkugel (IPCC 2007).

Verständnis des letzten Jahrtausends ermöglicht Abschätzung der Klimazukunft

Das Erfreuliche an den Abbildungen 1 und 2 ist der Umstand, dass die Rekonstruktionen und Modellierungen in ihren Grundzügen übereinstimmen. Nicht zuletzt ist dies eine Bestätigung dafür, dass Klimamodelle durchaus imstande sind, die Grundzüge der natürlichen und auch der anthropogenen Klimavariabilität zu simulieren. Dass es in der Größenordnung der langfristigen, vorindustriellen Temperaturschwankung gehörige Unterschiede gibt, die zwischen 0,3 und gut 1° C liegen, weist darauf hin, dass noch genug Forschungsbedarf vorhanden ist. Daneben bedingen räumliche Lücken in der globalen Proxy-Abdeckung sowie jahreszeitliche Unterschiede in der Klimaentwicklung Unklarheiten. Die Bedeutung der Klimarekonstruktion für die Abschätzung der Zukunft ist allerdings nicht zu verachten: Ein genaues Verständnis darüber, mit welcher Sensitivität das Klima auf die natürlichen Klimaantriebe des letzten Jahrtausends reagiert hat, ermöglicht eine Verringerung der Unsicherheit, wie stark das Klima auf die anthropogenen Antriebe der Zukunft reagieren wird.

 

Literatur:

Wir danken Dr. Jürgen Reitner von der Geologischen Bundesanstalt in Wien, der zu diesem Beitrag mit seiner Fachexpertise wesentlich beigetragen hat.

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