Gegenwart
Über die Veränderungen des Meeresspiegels in den letzten beiden Jahrhunderten liegen Messungen in höherer Auflösung vor.
Die Ursachen des aktuellen Anstiegs
Fünf Hauptkomponenten erklären schlüssig den Meeresspiegelanstieg der letzten 120 Jahre. Der Beitrag der temperaturbedingten Ausdehnung des Ozeanwassers wurde dabei lange unterschätzt. Die isostatische Ausgleichshebung übertrifft momentan regional den Meeresspiegelanstieg.
In Helsinki etwa zeigen langjährige Messreihen ein Absinken des Meeresspiegels um 25 cm relativ zum Festland während des 20. Jahrhunderts. In Schottland betrug die isostatische Landhebung im 20. Jahrhundert regional bis zu 60 cm, während in Teilen Südenglands und der französischen Kanalküste das Land in einer Gegenbewegung um 40 bis 60 cm absank. Die absinkenden Bereiche zeigten während der letzten Kaltzeit keine Eisbedeckung. Diese gegenläufigen dynamischen Prozesse in unmittelbarer Nachbarschaft können als Wippeneffekt der kontinentalen Lithosphäre verstanden werden.
Skandinavien hebt, Südengland senkt sich
Im 19. Jahrhundert wurde das Pegelnetz in den Seehäfen allmählich global und gegen Ende des Jahrhunderts dicht genug, um die regionalen Unterschiede durch die Dynamik des Festlands festzustellen. Erst seit den frühen 1990er-Jahren erlauben Präzisionsmessungen von Satelliten,TOPEX/Poseidon (1992–2006), Jason (seit 2001) und Sentinel 6 (seit 2020) flächig die tatsächliche Höhe des Meeresspiegels zu bestimmen („Ocean Surface Topography“). Es bestätigte sich endgültig, dass der Meeresspiegel alles andere als eben ist. Räumlich und zeitlich variable Phänomene wie das Gravitationsfeld der Erde und Meeresströmungen formen die Topografie der Ozeanoberfläche, die Höhendifferenzen im Meterbereich aufweist. Diese Höhendifferenzen spielen sich somit in etwa der gleichen Größenordnung ab wie der erwartete klimabedingte Meeresspiegelanstieg der Zukunft.
23 cm in den letzten 140 Jahren, Tendenz stark steigend
Die aktuellen Rekonstruktionen aus Pegel- und Satellitenmessungen des Verlaufs des globalen, mittleren Meeresspiegelanstieges seit 1870 zeigt die linke Hälfte von Abbildung 1. Insgesamt ist in den letzten 140 Jahren der Meeresspiegel um etwa 22,5 (±2,5) cm angestiegen. Der Anstieg war nicht regelmäßig, sondern es gab zwei Zeitspannen mit Anstiegsraten von nur rund 1 mm pro Jahr und zwei mit 2,5 bis 3 mm pro Jahr. Die rechte Kartendarstellung zeigt die mittleren regionalen Abweichungen des Anstiegs für die Satellitenperiode.
Ursachen des aktuellen Meeresspiegelanstiegs entschlüsselt
Der zweistufige Verlauf des Meeresspiegelanstieges erinnert an den Verlauf der globalen Lufttemperatur in der instrumentellen Periode. Jedoch verliefen bis vor kurzem alle Erklärungsversuche eines Zusammenhangs erfolglos. Der Meeresspiegelanstieg fiel im Vergleich zu der Summe seiner bis dato quantifizierten Ursachen (Komponenten) zu stark aus. Eine erste plausible Erklärung für die letzten 50 Jahre gaben erst im Jahr 2008 Domingues und ihre Kollegen ab. Die Basis ihres Ansatzes war die Zerlegung des integralen Meeresspiegelanstieges in fünf Komponenten (Abb. 2). Die Summe der einzelnen Komponenten ergibt den gesamten beobachteten Meeresspiegelanstieg und stellt somit eine geschlossene Wasserbilanz dar.
Nicht rekonstruiert werden konnten damals die dekadischen Variationen des Meeresspiegels. Dies wurde erst in einer Attributionsstudie von Frederikse u.a. (2020) schlüssig erklärt. Demnach sind Massenverluste der Gletscher und von Grönland verantwortlich für den starken Anstieg in den 1940er Jahren. Der etwas schwächere Anstieg vor allem in den 1970er Jahren kann durch die Wasserspeicherung in den eher kühlen 1970er Jahren in Form von Schnee an Land und durch die rege Bautätigkeit von Stauseen zur Stromproduktion erklärt werden. Der darauffolgende stärkere Anstieg ist ein Zusammenspiel der thermischen Ausdehnung des wärmer werdenden Ozeans und der verstärkten Gletscherschmelze (siehe Abb. 3).
Literatur:
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