Pflanzen- und Tierwelt
Flora und Fauna reagieren rasch auf klimatische Änderungen. Unter anderem verlängert sich die Vegetationsperiode.
Der Anstieg der globalen Mitteltemperatur macht sich in mittleren und höheren Breiten durch eine Verschiebung des jahreszeitlichen Zyklus von Pflanzen und Tieren zu einem früheren Beginn der Aktivitäten im Frühling und einem späteren Ende der aktiven Zeit im Herbst bemerkbar.
Der globale Temperaturanstieg wird nicht nur in der Kryosphäre und Hydrosphäre immer klarer sichtbar. Auch innerhalb der Biosphäre lassen sich die Wirkungen der erhöhten Temperaturen immer deutlicher beobachten. Die Konsequenzen sind vielfältig. So verschieben sich beispielsweise die Lebensräume von Pflanzen und Tieren polwärts oder in alpine Lagen. Etliche Tier- und Pflanzenarten werden somit an den Rand ihrer Anpassungsfähigkeit und Verbreitungsgebiete gedrängt. Andere Arten wiederum erobern Neuland und bedrohen heimische Ökosysteme und, im Fall von Schädlingen, die landwirtschaftliche Produktion. Insekten, die für Menschen und Tiere gefährliche Krankheitserreger als Zwischenwirte beherbergen, erobern neue Gebiete. Landwirtschaftliche Nutzpflanzen und forstlich relevante Baumarten müssen durch neue Züchtungen oder Arten ersetzt werden, die an höhere Temperaturen und häufigere Trockenstresssituationen besser angepasst sind.
Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Phänologie, das ist der jahreszeitlich bedingte saisonale Zyklus von Pflanzen und Tieren. Veränderungen der Eintrittszeiten phänologischer Phasen gehören zu den eindrucksvollsten und bestbelegten Zeugnissen der Wirkung der stetig steigenden Temperaturen auf die Biosphäre der gemäßigten Klimazonen.
Die Vegetationsperiode wird länger
Blühbeginn, Insektenflug, Vogelzug
Phänologische Ereignisse lassen sich auch gut von Laien beobachten, wie beispielsweise Blattentfaltung, Blüte, Fruchtreife, Blattverfärbung, Blattfall, der Vogelzug oder das erste Erscheinen von Insekten im Frühjahr (Abb. 1).
Phänologische Beobachtungen weisen eine jahrhundertealte Tradition auf. Oft waren es Naturliebhaber, die den saisonalen Zyklus von Pflanzen und Tieren ihrer näheren Umgebung systematisch beobachteten und aufzeichneten. In Österreich begann die systematische Beobachtung 1851, als Karl Fritsch an der neu gegründeten ZAMG der das phänologische Beobachtungsnetz der Monarchie ins Leben rief. Die Problematik des vom Menschen verstärkten Treibhauseffektes rückte die Phänologie als Klimaindikator ins Zentrum der Klimawirkungsforschung.
Früher Frühling, später Herbst
Nach Trendberechnungen auf Grundlage langer phänologischer Beobachtungsreihen haben sich die Frühlingsphasen in Europa, Nordamerika und China um 1 bis 5,5 Tage/Jahrzehnt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nach vor verschoben und die Herbstphasen um 0,36 bis 3 Tage/Jahrzehnt nach hinten (Abb. 2). Dadurch verlängerte sich die Vegetationsperiode um bis zu zwei Wochen.
Mehrjährige globale Satellitenbeobachtungen von Vegetationsindizes und Analysen von Zeitreihen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre bestätigen die Verlängerung der Vegetationsperiode. Auch in der Land- und Forstwirtschaft und im Obstbau machen sich die Auswirkungen des jüngsten Klimawandels bemerkbar, beispielsweise durch frühere Aussaat- und Erntetermine oder früheres Blühen von Obstgehölzen. In Westeuropa konnte eine Vorverschiebung des ersten Auftretens und der Hauptflugzeit von Schmetterlingen beobachtet werden. Ebenso verlängerte sich die Flugzeit von Insekten, die mehrere Generationen in einer Saison hervorbringen können. Viele Zugvogelarten reagierten mit früheren Ankunftszeiten und einem früheren Brutbeginn auf die steigenden Temperaturen.
Verschiebung phänologischer Phasen auch in Österreich
Bei zahlreichen in Österreich beobachteten Pflanzen und Tieren lässt sich eine gute Übereinstimmung des langfristigen phänologischen Trends mit dem langfristigen Trend der Temperatur beobachten. Vor allem Fruchtreifephasen reagieren auf das erhöhte Temperaturangebot während der warmen Jahreszeit (Abb. 3; vgl. Artikel „Historische Archive“).
Einfluss der Änderung des saisonalen Zyklus auf Biosphäre und Atmosphäre
Die Verschiebung der phänologischen Eintrittszeiten wirkt auf mehreren Ebenen, sie beeinflusst zeitabhängige Prozesse innerhalb der Biosphäre und wirkt auf Rückkoppelungen zwischen Biosphäre und Atmosphäre. Der frühere Beginn und das verzögerte Ende der Vegetationsperiode ermöglicht eine ebenso frühere und verlängerte Freisetzung allergener Pollen, sodass die Leidenszeit der Pollenallergiker ausgedehnt wird. Es ist noch nicht klar, wie sich die Verschiebung der Jahreszeiten in Relation zu Kaltlufteinbrüchen im Frühjahr auf die Spätfrostwahrscheinlichkeit auswirkt. Jedenfalls hatten wir in Mitteleuropa zwischen 2016 und 2022 besonders häufig schadbringende Spätfrostereignisse (2016, 2017, 2020, 2021 und 2022). Die Synchronisation der Nahrungskette kann durch unterschiedliche Verschiebungen phänologischer Phasen von Nahrungspflanzen und Tieren aus dem Takt gebracht werden. Die verlängerte Vegetationsperiode führt zu einer erhöhten Verdunstung (Evapotranspiration), die oft nicht durch eine entsprechende Erhöhung des Niederschlags kompensiert wird. Die zunehmende Austrocknung der Böden erhöht so die Wahrscheinlichkeit von extrem hohen Temperaturen und Dürreperioden. Über den Kohlenstoffkreislauf wirkt eine Verschiebung der phänologischen Phasen wiederum auf das Klima der Erde zurück (Rückkopplungen). Durch eine verlängerte Vegetationsperiode wird mehr Kohlenstoff gebunden und weniger Kohlenstoff dem Kohlenstoffreservoir der Atmosphäre zugeführt.
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