Massenbilanz Gletscher
Unter der Massenbilanz eines Gletschers versteht man die Differenz aus Prozessen, die Masse zuführen, und jenen, die Masse entziehen.
Akkumulation minus Ablation
Die direkte Messung der Massenbilanz eines Gletschers ist ein aufwändiges Unterfangen, das notwendig ist, um den Zusammenhang zwischen Klima und Gletscherverhalten zu verstehen. Durch gleichzeitige Messungen von Klima und Massenbilanz können Gletschermodelle, die abschätzen sollen, wie sich Gletscher in der Zukunft verhalten werden, überprüft werden. Umgekehrt können Gletschermodelle verwendet werden, um aus früheren Gletscheränderungen Rückschlüsse auf das Paläoklima zu ziehen.
Gletscher entstehen, indem sich Schnee im Gebirge über Jahre hinweg ansammelt, unter dem eigenen Druck verdichtet und dadurch in Eis umgewandelt wird. Das Eis fließt durch die Schwerkraft langsam talwärts und schmilzt dort schließlich wieder. In den höher gelegenen Bereichen eines Gletschers, dem Akkumulationsgebiet, wird im Winter mehr Schnee akkumuliert als im Sommer schmelzen kann. In den tiefer gelegenen Bereichen, dem Ablationsgebiet, schmilzt der Winterschnee jeden Sommer gänzlich weg, woraufhin auch ein Teil des darunterliegenden Eises abtaut (Abb. 1).
Das Konzept des Gletschers im Gleichgewicht
Ist die Akkumulation auf der Gletscherfläche gleich groß wie die Ablation, befindet sich ein Gletscher mit dem Klima im Gleichgewicht. Dann behält er seine Form, stößt also weder vor, noch zieht er sich zurück. Die Grenze zwischen dem Akkumulations- und dem Ablationsgebiet bildet die Gleichgewichtslinie, an der Akkumulation und Ablation gleich groß sind. Sie variiert von Jahr zu Jahr je nach Witterung und entspricht ungefähr der Lage der Schnee-Eis-Grenze am Ende des Sommers (Abb. 2).
Schneefall, Lawinen, Schmelzen, Kalben
Der wichtigste Prozess der Akkumulation ist zweifellos Niederschlag in Form von Schnee, aber auch Nährung durch Lawinen, Windverfrachtung, Schneerutsche, Wiedergefrieren von Schmelzwasser und Resublimation spielen eine Rolle. Wichtigste Prozesse der Ablation sind das Schmelzen und die Sublimation, die im Wesentlichen durch die Energiebilanz der Gletscheroberfläche bestimmt werden. Bei im Meer oder Seen endenden Gletschern ist auch das Kalben zu berücksichtigen. Mit Sublimation bezeichnet man den direkten Übergang von der festen in die gasförmige Phase eines Stoffes. Konkret bedeutet es das direkte Verdunsten von Schnee und Eis, ohne dazwischen stattfindendes Schmelzen.
Direkte Messung mit Pegeln und Sonden
Die direkte Messung der Massenänderung kann nicht an so vielen Gletschern durchgeführt werden wie beispielsweise die Messung der jährlichen Längenänderung. Die Akkumulation an einem Punkt am Gletscher wird ermittelt, indem man Schneetiefe und die Schneedichte misst. Die Schneetiefe bestimmt man mit einer Sonde oder mit dem Georadar, die mittlere Schneedichte durch Wägen von Schnee eines definierten Volumens – entweder in einem Schneeschacht oder durch Ziehen eines Schneekernes mit einem Kernbohrer (Abb. 3). Miteinander multipliziert ergeben Schneetiefe und -dichte die Akkumulation in Kilogramm pro Quadratmeter.
Um die Abschmelzung zu bestimmen, werden so genannte Ablationspegel mehrere Meter in das Eis gebohrt, die nach kurzer Zeit festfrieren (Abb. 4). Nach einem Jahr misst man, wie weit die Stangen ausgeschmolzen sind, und berechnet die Höhen- bzw. die Massenänderung der Eisoberfläche.
Um nun die Massenbilanz eines gesamten Gebirgsgletschers zu bestimmen, werden die oberflächliche Akkumulation und Ablation an vielen Punkten gemessen und diese Punktwerte auf die gesamte Gletscherfläche interpoliert. Damit erhält man die flächenhafte Verteilung der Massenbilanz, z.B. für die Pasterze (Abb. 5).
Die mittlere spezifische Massenbilanz
Da die typische Akkumulationsperiode im Herbst beginnt und im Frühjahr endet, die Ablationsperiode dann im Frühjahr beginnt und im Herbst endet, wird der Massenhaushalt eines Gletschers nicht für Kalenderjahre sondern für hydrologische Jahre von 1. Oktober bis 30. September bestimmt. Angegeben werden jährliche oder saisonale Massenänderung oft als flächenspezifischer Mittelwert über den gesamten Gletscher. Eine mittlere spezifische Massenbilanz von z.B. –0.9 m Wasseräquivalent bedeutet, dass sich die mittlere Eisdicke des Gletschers um 1 m verringert hat. Der Unterschied von 10 % entsteht durch die unterschiedliche Dichte von Wasser und Eis. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wird die Massenbilanz in den Einheiten mm Wasserwert oder kg/m² angegeben. Die 30-jährige Massenentwicklung von drei Gletschern der Hohen Tauern ist in Abbildung 6 dargestellt.
Auf Basis vieler dieser jährlichen, oder mehrjährigen Messungen der Massenänderungen und weiter zurückreichenden Rekonstruktionen von Gletscherentwicklung können dann unter der Voraussetzung einer gewissen Klimaentwicklung (Klimaszenario) auch zu erwartende Massenänderungen für die Zukunft berechnet werden. In Abbildung 7 sind sowohl Rekonstruktionen der letzten 120 Jahre, die Messungen der letzten Dekaden und die erwartenden Verluste bis 2100 global und für die unterschiedlichen vergletscherten Regionen der Erde dargestellt.
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