20.04.2016
30 Jahre Katastrophe von Tschernobyl
Die radioaktive Wolke der Katastrophe von Tschernobyl erreichte nach etwas mehr als drei Tagen Österreich. Ihre Verlagerung konnte damals nur grob über die Windrichtung abgeschätzt werden. Das Unglück von Tschernobyl führte unter anderem zum Aufbau eines dichten teilautomatischen Wettermessnetzes in Österreich und zu den regelmäßig getesteten Katastrophenschutz-Alarmplänen für welche die ZAMG ein Krisenmodellsystem betreibt und laufend weiterentwickelt.
(Ausbreitung der radioaktiven Wolke: https://youtu.be/-qrnelQQSTE)
Am 26. April 1986 explodierte der Reaktor 4 im Kernkraftwerk Tschernobyl, nahe der ukrainischen Stadt Prypjat. Die radioaktive Wolke zog mit kräftigem Wind aus Süd bis Südost zunächst Richtung Skandinavien und dann mit östlichem Wind in Richtung Zentraleuropa. Österreich erreichten die radioaktiven Stoffe am 29. April 1986. Besonders betroffen waren die Gebiete, in denen es regnete. Insbesondere in Salzburg und Oberösterreich wurden signifikante Mengen von Cäsium und anderen Radionukliden deponiert.
Das Unglück von 1986 mit modernen Methoden analysiert
Die Verlagerung der radioaktiven Wolke von Tschernobyl bis Österreich dauerte mit 80 Stunden etwas mehr als drei Tage, wie eine Analyse der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) zeigt. Dafür wurden die historischen Wetterdaten aus dem April 1986 mit dem derzeit verwendeten Ausbreitungsmodell (FLEXPART) analysiert. Moderne Ausbreitungsmodelle berechnen den Transport, die Verdünnung und den radioaktiven Zerfall der Schadstoffwolke sowie die Ablagerung der Schadstoffe am Boden durch Absinken und das Auswaschen mit Regen oder Schneefall.
Tschernobyl führte zum Aufbau des TAWES-Messnetzes
Die ZAMG ist Teil des österreichischen Krisen- und Katastrophenschutzmanagements. In regelmäßigen Übungen wird die Verlagerung der radioaktiven Wolke eines fiktiven Unfalles in einem europäischen Kernkraftwerk berechnet und die Koordination mit den staatlichen Stellen geprobt. Einige Bereiche des Strahlenschutzes in Österreich sind direkt auf die Katastrophe in Tschernobyl zurückzuführen, sagt Gerhard Wotawa, der an der ZAMG den Bereich Daten/Methoden/Modelle leitet: „Tschernobyl führte zum Beispiel zum Aufbau des sehr dichten teilautomatischen Wettermessnetzes TAWES, das mittlerweile aus rund 270 Wetterstationen in ganz Österreich besteht. Das Ziel war damals, sehr detaillierte Informationen über den bodennahen Wind und den Niederschlag zu erhalten, um bei einem Unfall in einem grenznahen Kernkraftwerk schnell die Verlagerungsrichtung der radioaktiven Wolke abschätzen zu können."
Schadstoffe und ihre Wechselwirkungen mit dem Wetter
Zur Zeit des Unfalls in Tschernobyl standen nur einfache Verfahren zur Abschätzung der Zugrichtung der radioaktiven Wolke zur Verfügung, wie die Berechnung der Verlagerung mit dem Wind. Ab den 1990er-Jahren wurden parallel zu den Wettermodellen auch immer bessere atmosphärische Ausbreitungsmodelle entwickelt, darunter FLEXPART, eines der leistungsstärksten dieser Art. Dieses Ausbreitungsmodell wurde vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien und von der ZAMG entwickelt. Das Ziel war, auch Informationen über die Menge der Schadstoffe in der Luft und ihre Wechselwirkung mit dem Wetter zu erhalten. „Wichtig ist nach Unfällen mit gefährlichen Stoffen vor allem, in welcher Konzentration die Schadstoffe vorhanden sind und wie viel davon zum Beispiel mit Regen oder Schneefall den Boden erreicht."
Erste Berechnungen nach Fukushima
Heute betreibt die ZAMG Ausbreitungsmodelle zur Bearbeitung unterschiedlicher Fragestellungen, von sehr lokalen Schadstoff-Freisetzungen bis zu globalen Transportprozessen. Dazu gehört unter anderem ein großräumiges meteorologisch-chemisches Vorhersagemodell, das bei Unfällen in Kernkraftwerken oder nach Vulkanausbrüchen schnelle und möglichst detaillierte Informationen für das staatliche Krisen- und Katastrophenmanagement liefert. So berechnete die ZAMG nach dem Unfall in Fukushima 2011 die erste großräumige Ausbreitung der Radioaktivitätswolke und führte in Kombination mit den Daten der internationalen Atomtest-Stopp-Behörde in Wien (CTBTO) die erste realistische Abschätzung der radioaktiven Quellstärke durch.
Wetterdaten im Einsatzfahrzeug der Feuerwehr
Eine andere Spezialanwendung sind Unfälle mit giftigen Stoffen in Städten. Hier arbeitet die ZAMG unter anderem seit vielen Jahren eng mit der Wiener Berufsfeuerwehr zusammen. So stehen dem Schadstoffzug der Wiener Feuerwehr im Einsatzfahrzeug Computermodellberechnungen, chemische Datenbanken und flächendeckende meteorologische Informationen in Echtzeit sowie Kurzfristprognosen für die nächsten Stunden zur Verfügung, um eine rasche und fundierte erste Einschätzung der Lage treffen zu können.
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VIDEO Tschernobyl 1986 - Ausbreitungsrechnung der ZAMG: Dargestellt ist die Strahlungsdosis, die zusätzlich zu den natürlichen Anteilen in der bodennahen Atmosphäre vorhanden war. Berechnung der ZAMG mit historischen Wetterdaten und dem derzeit verwendeten Ausbreitungsmodell FLEXPART. Zeitangabe in UTC (Greenwich-Zeit). Quelle ZAMG. Zum Video-Start auf Bild klicken oder hier: –>https://youtu.be/-qrnelQQSTE
80 Stunden nach der Explosion in Tschernobyl erreichte die radioaktive Wolke Österreich: Dargestellt ist die Strahlungsdosis, die zusätzlich zu den natürlichen Anteilen in der bodennahen Atmosphäre vorhanden war. Berechnung der ZAMG mit historischen Wetterdaten und dem derzeit verwendeten Ausbreitungsmodell FLEXPART. Zeitangabe in UTC (Greenwich-Zeit). Quelle ZAMG. –>Link zum Bild in Originalgröße
Abgelagertes Cäsium-137 ein Monat nach der Explosion in Tschernobyl: Berechnung der Deposition von Cäsium-137 von 26. April bis 26 Mai 1986. In Österreich sind erhöhte Konzentrationen an der Nordseite der Alpen erkennbar, da es hier damals regnete und somit mehr Cäsium in den Boden kam. Deposition bezeichnet die Ablagerung eines Stoffes am Boden durch Absinken der Luft und durch das Auswaschen mit Regen oder Schneefall. Quelle ZAMG. –>Link zum Bild in Originalgröße
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Web-Links
ZAMG Krisenfallvorsorge: www.zamg.at/cms/de/umwelt/krisenfallvorsorge
ZAMG allgemein: www.zamg.at und www.facebook.com/zamg.at